FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2020

Foto: © Rene Prohaska | picturedesk.com D ie Industriellenvereinigung rechnet für 2020 mit einem Rückgang der Bruttowertschöpfung um 7,6 Pro- zent. Österreich könne sich von den welt- weiten Entwicklungen nicht entkoppeln und müsse, um den Schaden zu mini- mieren, sein Potenzialwachstum steigern. Allerdings sind systemrelevante Teile der Volkswirtschaft wie zum Beispiel der Handel und Tourismus, die Immobilien- branche und das Baugewerbe durch den coronabedingten Shutdown schwer be- schädigt. Nun ruhen alle Hoffnungen auf einem starken Comeback, das aber nur mit angezogener Handbremse stattfinden kann, weil die behördlichen Beschrän- kungen der Wirtschaft nur schrittweise aufgehoben werden und die Nachfrageseite längere Zeit mit den Folgen der Konjunktur- krise zu kämpfen hat. Deshalb erklärte der frühere Strabag-Chef Hans Peter Haselsteiner Mitte April, dass wir „gut dran“ seien, wenn die Wirtschaft heuer „nur um zehn Prozent“ einbricht. Zur Krisen- bewältigung will der Unternehmer und Inves- tor, der 1994 bis 1998 für das von ihm mitfi- nanzierte Liberale Forum im Nationalrat saß, das Steuersystem überdenken. Der Staat werde nicht nur durch Schulden, sondern auch durch Massenarbeitslosigkeit und sinkende Einkom- men herausgefordert, erklärte Haselsteiner im Gespräch mit FONDS professionell. Sie sind seit Anfang der 1970er im Bau- gewerbe tätig. Wie sehen Sie die durch das Coronavirus ausgelöste Krise im Vergleich zu den früheren Wirtschafts- krisen? Hans Peter Haselsteiner: Es gibt keinen Ver- gleich für diese Krise, und die Menschheit hat keine Erfahrung mit einer vergleichbaren Si- tuation. In diesemAusmaß und in dieser Dra- matik haben wir keine Pandemie erlebt. Inso- fern ist diese Krise ein einmaliges Ereignis. Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pan- demie? Wie hat die Bauwirtschaft da- rauf reagiert? Die ersten Notfallprogramme waren dazu da, die Infektionsraten deutlich zu senken. Die Bauwirtschaft ist mit den gebotenen Vor- sichtsmaßnahmen sehr rasch wieder in fast normale Gänge gekommen. Ich glaube, dass die Bauwirtschaft dieses Jahr mit einem blauen Auge und einem bescheidenen Ergeb- nis überstehen wird. Das gilt auf jeden Fall für die Strabag. Wir werden weniger Umsatz machen, und das Ergebnis wird nicht so gut sein wie es vor der Krise, in der wir uns in einer günstigen Situation befanden, progno- stiziert war. Aber das Ergebnis wird positiv bleiben. Ab dem Jahr 2021 sehe ich das etwas kritischer, weil ich glaube, dass der private Sektor einbrechen wird. Man muss sich vor Augen halten, dass der Geschäfts- und Büro- raumsektor sowie die Tourismusindustrie als Auftraggeber ausfallen. Das betrifft nicht nur Hotels, sondern auch damit verbundene Bereiche, die für einige Zeit keine Nachfrage nach Bauleistungen haben werden. Wie stark wird sich das auf den Bran- chenumsatz auswirken? Ich rechne damit, dass die Bauleistung in der gesamten Baubranche um bis zu 20 Prozent sinken wird. Es ist zu befürchten, dass es für einige, vor allem kleinere Betriebe deut- lich dramatischer ist, wenn sie vor allem im Hochbau tätig und auf Gewerbeim- mobilien wie zum Beispiel Hotels spezia- lisiert sind. Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes berichtete Mitte April, dass die Geschäftserwartungen der Bauunternehmen nachgeben. Wie ist das in Österreich? In ganz Europa dürfte das Bild ähnlich sein. Krisen treffen die private Nachfrage nach Bauleistungen immer stark. Die öffentliche Hand federt das bis zu einem gewissen Grad ab, um den Beschäfti- gungseffekt zu nutzen und die Massen- kaufkraft zu stärken. Wir gehen davon aus, dass wir in vielen Infrastrukturprojekten gut beschäftigt sein werden. Das würde bedeuten, dass ein Unterneh- men, das nicht so breit aufgestellt ist wie Ihr Konzern und nicht beispielsweise im Ingenieurbau und Verkehrswegebau tätig ist, besonders zu leiden hat. Ich habe in der Strabag die Philosophie des Tausendfüßlers hochgehalten, und das wurde nach meinem Ausscheiden aus dem operati- ven Geschäft beibehalten. Ein Bauunterneh- men muss sich mit der annähernd gleichen Geschwindigkeit fortbewegen können, wenn zwei oder drei Beine wegbrechen. Deshalb sind wir in vielen Ländern und in vielen Spar- ten tätig, um gegen Einzelereignisse abgesi- chert zu sein. Eine Pandemie ist natürlich kein Einzelereignis und trifft alle Länder. Aber wir sind ein universelles Bauunternehmen in allen Sparten und in fast allen Nischen, und das ist natürlich ein Vorteil. Kleinere Unternehmen können diese Diversität gar nicht entwickeln. Daher sind einige Kollegen bedauerlicher- weise mit größeren Sorgen gestraft, als es die Strabag ist. Aber: Wir stehen alle vor verita- blen Herausforderungen, und die Situation ist für niemanden ein Honiglecken. Die Investi- tionen der öffentlichen Hand sind nur ein Die berühmte V-Kurve, die in der Ökonomie den rasanten Absturz und ebenso rasanten Aufstieg darstellt, hält Hans Peter Haselsteiner für Wunschdenken. FONDS professionell sprach mit dem Industriellen über die Herausforderungen in der Bau- und Immobilienwirtschaft und die Wirtschaftspolitik der Regierung. „Rechne damit, dass die Bauleis » Die Investitionen der öffentlichen Hand sind nur ein Trostpflaster und heilen allein die Wunden nicht, die für manche tödlich sein können. « Hans Peter Haselsteiner, Strabag sachwerte I hans peter haselsteiner 140 www.fondsprofessionell.at | 2/2020

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