FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2020

Trotzdem gab sich unsere Regie- rung stets als streberhafter Muster- schüler. Denn man hatte in der Phase des „Hammers“ der Seu- chenbekämpfung statt auf „Her- denimmunisierung“ früh und er- folgreich – und sichtbar erfolgrei- cher als anderswo in Europa – auf „Herdendisziplin“ und „Herden- loyalität“ gesetzt. Zu straucheln beginnt man allenfalls in der Phase des „Tanzes“ und des wirtschaft- lichen und sozialen Wiederaufbaus. Hoffentlich wird das Fehlen an Planung, Strategie und Prävention zumindest nachträglich einmal detailliert rekonstruiert und analy- siert, um daraus für die nächste Pandemie, die mit Sicherheit kom- men wird, lernen zu können. Muss man sich angesichts der aktuellen Entwicklungen in Europa Ihrer Meinung nach Sorgen um die Demokratie machen? Diese Sorge ist – wie die um unse- re Gesundheit, Sicherheit oder auch Innovationskraft – immer angebracht. Nur eine so erfahrene, diktaturerprobte und geschichts- bewusste „Ossi“ als Regierungs- chefin wie Angela Merkel konnte das Dilemma legitimen Seuchen- managements auf die demütig- griffige Formel einer Quarantäne als „demo- kratische Zumutung“ der Herrschenden ge- genüber dem Volk bringen. Einen auf ewig unerschütterlichen Schatz an Freiheits- und Sozialrechten gibt es nie. Die Selbstgefähr- dung jeder Demokratie liegt darin, dass sie auch in akuten Gefährdungssituationen wie Kriegen oder Seuchen nicht „heruntergefah- ren“ werden kann. Das ist derzeit nochmals viel virulenter, weil Gesundheit als eine Art verweltlichte Ersatzreligion fraglos der unstrit- tigste aller innerweltlichen Werte ist. Könnte die aktuelle Krise aus Ihrer Sicht auch etwas Positives für die Gesellschaft bewirken? Selbstverständlich. Selbst wenn wir – höchst- wahrscheinlich – nicht in der Lage sein wer- den, rundum nur das Beste aus den neuen Chancen zu machen, wird neben vielen bald wohl wieder rasch verdrängten Kollateral- schäden auch viel Kollateralnutzen entstehen. Im Arbeitsalltag sind neue Heimarbeit, Digi- talisierungsschübe und Vertrauensgleitzeit bereits eingetreten und nach jahrzehntelanger Blockade auch künftig erwartbar. Das gilt für alle Lebensbereiche, wir werden aus dem Staunen kaum herauskommen. Neben den aktuell akutenAuswirkungen wird die Krise langfristig aber vor allem negative Spuren hinterlassen. Mit der horrenden Arbeitslosigkeit brechen Ver- sicherungsbeiträge weg, das wird die Pensionen für den Staat zumindest kurz- fristig stark verteuern. Wie sehen Sie die langfristigen Auswirkungen? Die dramatische Wirtschaftskrise infolge der Pandemie und ihres Seuchenmanagements wird schwerwiegende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Sozial- und Pensionsversi- cherung und die öffentlichen Haushalte haben. Damit könnte der ohnedies inexistente, weil bereits chronisch unterfinanzierte, quasi intu- bierte „Pensionstopf“ zusätzlich ausgezehrt werden und rasche Reformen noch dringlicher machen, als sie durch die Babyboomerkrise schon erforderlich werden. Bis 2034 gehen die Jahrgänge 1956 bis 1969, das sind 1,9 Millionen Babyboomer, in den Ruhestand. Es wird dann bald drei statt zwei Millionen reine Makulatur geworden“ » Die dramatische Wirtschafts- krise infolge der Pandemie und ihres Seuchenmanagements wird schwerwiegende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, die Sozial- und Pensionsversicherung und die öffentlichen Haushalte haben. « Prof. Bernd Marin, Europäisches Büro für Politikberatung und Sozialforschung www.fondsprofessionell.at | 2/2020 155

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