

völlig unterschiedliche Analysen präsentieren.
Auch im Straßenverkehr gelten bestimmte
Regeln. An roten Ampeln müssen Sie halten,
und Sie können nicht mit Tempo 200 durch
geschlossene Ortschaften fahren. In der Fi-
nanzdienstleistungsbranche gibt es derlei
Regelwerke nicht. Hier kann jeder fahren, wie
er will. Um im Bild zu bleiben: In unserer
Branche hat sich die Politik bisher darum
gekümmert, dass die Führerscheinprüfung
verschärft und dass ein Fahrtenbuch geführt,
also dass ordentlich dokumentiert wird. Was
in der Zwischenzeit in der Beratung und Ana-
lyse – im übertragenen Sinn also auf der Stra-
ße – passiert, ist weitgehend ungeregelt. Die
Beratungsqualität für die Kunden und der Ver-
braucherschutz hängen aber – mit Verlaub –
nicht nur von der Ausbildung der Berater ab.
Entscheidend dafür ist ein ordentlicher Ana-
lyse- und Beratungsprozess.
Ihr Ziel ist also eine in allen Facetten
standardisierte Beratung?
Nein, so weit sind wir längst nicht, und das
streben wir auch gar nicht an. Es geht vor al-
lem um die Bedarfsanalyse. Dabei untersucht
der Berater imWesentlichen Deckungslücken
bei Versicherungen und in der Altersvorsorge
und Ungereimtheiten imAnlageverhalten. Am
Schluss sieht er, welche Risiken er absichern
und welche Vorsorge er treffen muss. Das ist
wie beimArzt: Die Diagnose sollte immer die
gleiche sein, nehmen wir als Beispiel einen
Bandscheibenvorfall. Das gilt allerdings nicht
für die Therapie – da kann in einem Fall eine
Spritze die richtige Wahl sein, während einem
anderen Patienten mit einer Krankengymnas-
tik besser geholfen ist. Ähnlich ist es in der
Finanzberatung. Für die Heilung des Risikos
Altersarmut gibt es eben nicht nur ein Pro-
dukt. Hier hat der Berater also durchaus Frei-
heiten. Es passiert aber nicht mehr, dass
jemand, der eigentlich eine Haftpflichtver-
sicherung bräuchte, einen Schiffsfonds auf-
geschwatzt bekommt.
Aber jede Beratung und damit auch
Bedarfsanalyse muss doch individuell
sein. Es lassen sich nun mal nicht alle
Menschen über einen Kamm scheren.
Wir sind der Überzeugung, dass ein standar-
disierter Prozess und kundenindividuelle Er-
gebnisse sich nicht widersprechen, sondern
bedingen. Die Branche verwechselt noch zu
oft Kundenindividualität und Beraterindivi-
dualität.
Kann man einen so komplexen Prozess
wie die Finanzanalyse in einen Standard
fassen?
Natürlich will der eine oder andere Finanzbe-
rater seinen Kunden vollkommen analysieren
und beispielsweise bei der Krankenversiche-
rung abfragen, ob der Klient in Krisengebiete
reist und ob dieses Risiko berücksichtigt wer-
den muss. Doch das ist eben nicht der Stan-
dardansatz, der für alle gelten sollte. Sonst
dürften im Straßenverkehr auch nur noch Au-
tos mit allen Assistenzsystemen zugelassen
werden. Dann gäbe es auf der Straße nur noch
Pkws wie die Mercedes-S-Klasse – und ein
großer Teil der Bevölkerung könnte sich kein
Auto mehr leisten. Wenn Sie so wollen, ver-
folgen wir über die DIN-Norm das Ziel, dass
jeder das Recht haben soll, mit ordentlich
funktionierenden Autos am Straßenverkehr
teilzunehmen, und es gilt zudem ein einheit-
liches Regelwerk hinsichtlich des Fahrverhal-
tens. Kunden erhalten in rund zehn Minuten
einen rudimentären Überblick über ihre finan-
zielle Lage. Diese Zeit räumen auch Durch-
schnittsverdiener ihrem Berater ein. Oder, an-
dersrum gesehen: So viel Zeit kann ein Bera-
ter auch einem Kunden widmen, von dem er
sich kein lukratives Anschlussgeschäft ver-
spricht. Es geht um ein Regelwerk für die
Analyse und damit den Einstieg in die Bera-
tung. Die Frage nach der Versicherung für
Krisengebiete darf ja später noch folgen.
Durch die Norm würde die Bedarfsana-
lyse schneller werden. Wenn ein Vermitt-
Bernhard Termühlen: „Kunden erhalten in rund zehn Minuten einen rudimentären Überblick über ihre finanzielle Lage.
Diese Zeit räumen auch Durchschnittsverdiener ihrem Berater ein.“
vertrieb & praxis I
bernhard termühlen | defino | mayflower | formaxx
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Die Branche verwechselt noch
zu oft Kundenindividualität und
Beraterindividualität.
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Bernhard Termühlen
Foto: © Ulrike Schmidt
Bernhard Termühlen
Bernhard Termühlen, geboren 1955 im westfälischen
Steinfurt, ist promovierter Bau- und Wirtschaftsingenieur.
Von 1982 bis 1984 war er als Referent des Unterneh-
mensleiters des Baukonzerns Heitkamp tätig, bevor er
1985 als MLP-Berater begann – als Mitarbeiter Nummer
84. Schon im Jahr darauf wurde er mit der Leitung der
Hamburger Geschäftsstelle betraut. 1988 wechselte Ter-
mühlen in den Vorstand von MLP, 1999 übernahm er den
Vorsitz des Gremiums und trieb die Expansion des Finanz-
vertriebs voran. Im Oktober 2003 verließ er die Firma.
Seither betätigt er sich als Unternehmer. Er betreibt Land-
wirtschaft, investiert in erneuerbare Energien und hält An-
teile an der Schwedenfähre TT-Line, deren Beiratsvorsit-
zender er ist. Seine Beteiligungen an den Finanzvertrieben
Mayflower und Formaxx machen nach eigenen Angaben
einen eher kleinen Teil seines Gesamtvermögens aus.