Lebenspolizze für Ältere: Zwischen Fehlvermittlung und Diskriminierung
Eine Bank vermittelte an eine 79-jährige Frau eine Lebenspolizze mit 35 Jahren Laufzeit. Das Gericht ortet Fehlberatung. Sollte es ein Höchstalter für derart langlaufende Produkte geben? Ja, 65, sagt eine Konsumentenschützerin zur Redaktion. Vermittler sehen darin hingegen Altersdiskriminierung.
Wie alt dürfen Kunden eigentlich sein, um ihnen Lebensversicherungsprodukte zu vermitteln? Die Versicherungen setzen dafür je nach Produkt in der Regel selbst ein erlaubtes Höchstalter fest. Meist sind es 80 Jahre. Ob man dieses Limit ausreizen darf, hängt von den jeweiligen Kundenbedürfnissen ab. Das verdeutlicht ein Urteil gegen die Bank Austria.
Ein Mitarbeiter einer Grazer Filiale fragte im Jahr 2019 eine 79-jährige Kundin, die dort ihr Geld jahrzehntelang auf Sparbüchern und Bausparverträgen liegen hatte, ob sie nicht lieber ein gewinnbringenderes Investment wolle. Versprochen wurde eine "flexible Vorsorge" in Form einer Lebensversicherung mit besseren Erträgen als am Sparbuch. Die Frau löste Sparkonten auf und zahlte eine Einmalprämie von 50.000 Euro in eine Lebenspolizze ein, die zu 100 Prozent im klassischen Deckungsstock veranlagt war, jedoch die Option beinhaltete, jederzeit in eine Fondsveranlagung zu wechseln. Was ihr nicht klar war: Die Laufzeit betrug 35 Jahre, die Lebensversicherung hätte erst mit einem biblischen Alter von 114 Jahren geendet. Zudem dachte die Kundin, sie könne jederzeit auf ihr Geld zugreifen. Dass Auszahlungen ohne Steuernachteile frühestens nach zehn Jahren möglich sind, war ihr nicht bewusst.
Erstgericht gab der Kundin recht
Knapp darauf hatte die Kundin Finanzbedarf. Im Jahr 2021 kaufte sie die Versicherung zurück und erhielt aufgrund der Versicherungssteuer und der angefallenen Provisionen (je länger die Laufzeit, desto höher die Provision) knapp 5.000 Euro weniger als eingezahlt. Die Kundin wandte sich an die Arbeiterkammer Steiermark, die vor Gericht ging und dort Recht bekam.
Die Kundin, die bei ihrem Termin in der Bank von einem Zeugen begleitet wurde, konnte laut Gericht glaubhaft darlegen, dass ihr der Berater erklärte, sie könne ihr Geld jederzeit beheben. Auch wurde sie laut Gericht nicht über ihre Rücktrittsrechte informiert. Eine Kopie des unterzeichneten Vertrags erhielt sie offenbar auch nicht. Darüber hinaus seien die Unterlagen nicht mit ihr besprochen worden; sie unterschrieb den Vertrag ohne ihn durchzulesen im Vertrauen auf die Bank.
Gericht betont Vertrauensverhältnis
Aufgrund der jahrzehntelangen Kundenbeziehung habe ein Vertrauensverhältnis bestanden, betonen die Richter im Urteil, das der Redaktion vorliegt. Der Berater habe die Kundin nicht ausreichend über Nachversteuerung, Rückkaufkosten, Auflösungsfristen und Verlustrisiken informiert. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte die Kundin die Lebensversicherung nicht abgeschlossen. Daraus sei ihr ein Vermögensschaden entstanden. Das Kreditinstitut muss fast 5.000 Euro samt vier Prozent Zinsen rückerstatten. Aus der Bank Austria heißt es gegenüber der Redaktion, man werde gegen das Urteil nicht berufen.
Die Bank hatte vor Gericht den Vertrieb des Produkts verteidigt. Sie hob die Vorteile einer Lebensversicherung mit Veranlagung im Deckungsstock und Bezugsrecht für eine begünstigte Person hervor: Anders als beim Sparbuch könne ein Begünstigter bei einer Lebensversicherung zum Beispiel im Todesfall sofort auf das Vermögen zugreifen (allerdings war das für die Kundin nicht relevant). Als Wertargument führte die Bank an, dass im Todesfall 105 Prozent der Deckungsrückstellung inklusive Gewinnanteil ausgezahlt würden. Die Versicherung, die Ergo, erlaubt, dass das Produkt bis zu einem Alter von 80 Jahren vermittelt werden darf.
AK-Konsumentenschützerin sieht Limit bei 65 Jahren
Eine gesetzliche Regelung, ab welchem Alter der Verkauf einer Polizze mit derart langer Laufzeit nicht mehr erlaubt ist, gibt es nicht. Der von der Versicherung selbst gewählte Zeitrahmen sei jedoch "fragwürdig", meint Konsumentenschützerin Sandra Battisti von der Arbeiterkammer Steiermark, die das Urteil erstritten hat. "Eigentlich müsste es ab 65 Jahren nicht mehr möglich sein dürfen", so Battisti gegenüber der Redaktion.
Beim Fachverband der Versicherungsmakler stößt der Vorschlag, die Altersschwelle abzusenken, auf Protest. Obmannstellvertreter Rudolf Mittendorfer verweist auf Altersdiskriminierung und betont, dass die Volksanwaltschaft soeben eine Beschwerde behandle, weil die Zahlungsmöglichkeit bereits mit 80 Jahren endet. "Daraus sieht man, dass es durchaus unterschiedliche Wünsche gibt", so Mittendorfer gegenüber der Redaktion.
Altersschwelle würde zu Folgeproblemen führen
Es sei sachlich schwer nachzuvollziehen, warum Konsumentenschützer bei steigendem Lebensalter und steigendem Pensionsantrittsalter eine Reduktion fordern. Bei einem generellen Absenken der Schwelle müsse man außerdem "erhebliche Kollateralschäden" befürchten, so Mittendorfer, der darauf verweist, dass etwa bei Krediten verpflichtend Ablebens- und mitunter sogar Er-und Ablebensversicherungen verlangt werden. Auch Begräbniskostenvorsorgen würden üblicherweise bis zum Alter von 85 Jahren laufen (meist mit laufender Prämienzahlung).
Dass es keine Regelungen gegen Altersdiskriminierung im Konsumentenschutz gibt, betrachtet AK-Expertin Battisti als Gesetzeslücke. Dennoch sieht sie in diesem Fall auch die andere Seite: Die Vermittlung derart langlaufender Verträge ab einem gewissen Alter hält sie für problematisch, vor allem bei mangelhafter Aufklärung.
"Praktische Gründe" für längere Laufzeit
Während Lebenspolizzen meist mit 80 Jahren enden, gebe es auch Tarife mit lebenslanger Zahlungsmöglichkeit, erklärt Mittendorfer. Demgegenüber stünden laufende Altverträge, die oft ein Endalter von 75 Jahren vorsehen. Er gehe davon aus, dass "durchaus ein relevanter Teil der Fondspolizzen" über das 65. Lebensjahr hinausgeht. Neuabschlüsse ab 65 gebe es hingegen seltener. Ältere Kunden würden eher zu Fondssparplänen als zu Fondspolizzen greifen. Probleme gebe es "bestenfalls punktuell". Längere Vertragszeiten hätten jedenfalls durchaus praktische Gründe: "Die längere Laufzeit ermöglicht, solange zu zahlen, wie man will. Vorzeitig beenden kann man nach zehn Jahren sowieso jederzeit", so Mittendorfer. (eml)