Anleger sind in Österreich eine viel gescholtene Spezies. Zu zurückhaltend, zu sicherheitsliebend, zu wenig Financial Literacy und ähnliche Attribute muss sich das Volk nachsagen lassen. Man könnte den Spieß auch einmal umdrehen und nachfragen: Was wollen die Anleger eigentlich? Woran liegt die Zurückhaltung, und was braucht es, damit Hürden überwunden werden?

Genau das macht ein Projekt des Instituts für Höhere Studien (IHS), finanziert von der Nationalbank (OeNB). Unter dem Titel "Finanzberatung optimal gestalten" untersucht ein Team um Projektleiterin Katharina Gangl, wie die Kundinnen und Kunden auf verschiedene Zugänge im Gespräch reagieren. 2021 gestartet, lieferte das auf drei Jahre angelegte Projekt heuer erste Zwischenergebnisse. Diese belegen: Fundierte Information wirkt. Das geht aus einem Artikel hervor, der in voller Länge im Printheft 4/2022 von FONDS professionell erschienen ist. 

Welche Argumente überzeugen beim Verkauf grüner Fonds?
Aufgebaut war die erste Phase auf dem momentan wichtigen Thema Nachhaltigkeit. Das Forscherteam wollte wissen: Wie muss die Abfrage der Präferenzen gestaltet sein, damit sich die Anleger eher für ein nachhaltiges Produkt entscheiden?

Sämtliche Teilnehmer – gut 2.250 Personen – wurden über ESG (Umwelt, Soziales, Unternehmensführung) aufgeklärt. Dann legte man ihnen per Zufall vier Informationsvarianten vor: In der ersten Gruppe betonte die Beratung den finanziellen Aspekt, insbesondere ESG-spezifische Ren­ditechancen; etwa, dass Unternehmen, die Nachhaltigkeitsfaktoren beachten, häufig in Zukunftsbranchen tätig sind. Gruppe zwei wurde mit dem Umweltargument angesprochen. Hier hieß es: Du kannst mit Deinem Geld Einfluss auf eine positive Entwicklung nehmen, wenn Du in Unternehmen investierst, die ESG-bewusst wirtschaften. Variante drei war eine Kombination aus finanziellem Argument und Umweltaspekt. Der Kontrollgruppe wurden (abseits der allgemeinen ESG-Aufklärung) keine weiteren Hinweise zum Sinn eines nachhaltigen ­Investments gegeben.

Impact-Gefühl wirkt am stärksten
Am wirksamsten erwies sich dabei das Umweltargument: Menschen, bei denen der grüne Impact hervorgehoben wurde, streuten das meiste Geld in den ESG-Fonds (einem Teil der Versuchsteilnehmer wurden dafür 600 Euro zur Verfügung gestellt, die sie real auf nachhaltige oder konventionelle Produkte streuen konnten). Im Vergleich dazu wirkte das finanzielle Argument etwas schwächer; es sorgte aber ebenfalls für einen deutlich höheren ESG-Zulauf als in der Kontrollgruppe, die nicht gezielt beraten wurde.

Interessant ist: Die Kombination aus diesen beiden Beratungsfaktoren brachte kaum Vorteile. "Es ist zwar kein Schaden, aber es deutet einiges darauf hin, dass die Fülle an Argumenten eher 'too much' ist", so Gangl. "Man sollte sich in der Beratung entweder auf den Impact oder auf den finanziellen Aspekt fokussieren", erklärte die Studienleiterin gegenüber der Redaktion. Im Zweifel würde sie den Impact ansprechen, der den höheren Effekt aufweist. "Das Gefühl, dass ich persönlich bestimme, was mein Geld bewirkt, ist einfach ein sehr starkes", erklärt Gangl, die unter anderem auf Verhaltensökonomie spezialisiert ist.

Studie soll zum "Echteinsatz" im Vertrieb dienen
Weitere Experimentphasen sind geplant. So sollen Versuchspersonen mit Sparbeträgen ausgestattet werden, um zu testen, unter welchen Beratungsvoraussetzungen die Teilnehmer am ehesten vom (vermeintlich) sicheren Sparen in eine Veranlagung mit höheren Renditechancen wechseln. Das IHS entwickle aus den Erkenntnissen Tools, die für den "Echteinsatz" im Vertrieb gedacht sind, so Gangl.

Mit der Frage, wie man Sparern die Angst vor dem Einstieg in den Kapitalmarkt nimmt, beschäftigt sich auch der österreichische Ökonom Manfred Frühwirth, der an der Wirtschaftsuniversität Wien lehrt. Analysen der vergangenen 200 Jahre zeigen etwa, dass bei einer Investitionsdauer von 20 oder 30 Jahren Aktien die einzige Kategorie sind, die selbst im schlimmsten Fall noch positive reale Renditen abliefert. Viele Anleger meiden jedoch den Aktienmarkt ausgerechnet aus Angst vor Verlusten.

Das "Aktienprämienrätsel"
Interessant ist in diesem Zusammenhang das "Equity Premium Puzzle", das "Aktienprämienrätsel". 1985 zeigten die Finanzwissenschaftler Rajnish Mehra und Edward Prescott, dass man in der Regel mit Aktien eigentlich eine "viel zu hohe Rendite" verdient. Gemeint ist der ungewöhnlich hohe Renditeabstand zu sicheren Anlagen (etwa Staatsanleihen): Aktieninvestoren erhalten mehr Risikozuschlag, als durch das übliche Aktienrisiko oder durch die durchschnittliche Risikoaversion der Anleger begründet werden könnte. Angemessen wären nach diesen Berechnungen ein oder zwei Prozentpunkte Überrendite zum risikolosen Zins. Tatsächlich aber könnten Aktienanleger mit einer Risikoprämie zwischen fünf und acht Prozent jährlich rechnen. "Dass die Aktienrenditen zu hoch sind, wissen immer noch die wenigsten Anleger. Zu sagen, ich gehe nicht in Aktien, weil das zu gefährlich ist, ist falsch", so Frühwirth. 

"Myopische Verlustaversion"
Eine mögliche Erklärung, wie es zu den hohen Risikoprämien kommt, bietet die "myopische Verlustaversion" (kurzsichtige Verlustabneigung): Anleger schauen gern auf die laufenden Kursbewegungen – und lassen sich dabei von den kurzfristigen Turbulenzen abschrecken, während sie die (empirisch belegten) langfristigen Chancen aus den Augen verlieren. Dahinter steht ein psychologisches Phänomen, das Anleger kennen sollten: Verluste schmerzen mehr als man sich über Gewinne freut; und zwar um ungefähr das Zwei- oder Zweieinhalbfache, wie die Forschungsergebnisse zeigen. "Wer 100 Euro investiert und den Kurs auf 150 steigen sieht, freut sich darüber ­weniger, als er sich ärgern würde, wenn der Kurs von 100 auf 50 sinkt", erklärt Frühwirth. In der Auslegung von Nobelpreisträger Richard Thaler und seinem Kollegen Shlomo Benartzi könnte das "Aktienprämienrätsel" so erklärt werden, dass der Markt mit sehr hohen Prämien locken muss, damit die Investoren (die kurzfristige Verluste überbewerten) überhaupt einsteigen. "Das ist Geld, das man als rationaler, langfristig orientierter Anleger geschenkt bekommt", so Frühwirth.

Risikoaversion sei grundsätzlich nicht negativ, betont er. Der Fehler entstehe allerdings dort, wo Anleger einseitig auf Basis der Verlustangst agieren, während sie die empirischen Gewinnchancen nicht mitbedenken oder nur geringer gewichten. Gegen den Impuls, ständig über Kurs­kapriolen nachzudenken, hilft es, sich das Konzept der irrationalen Übertreibungen zu vergegenwärtigen, für das Robert Shiller den Wirtschaftsnobelpreis bekam: Auf Ausschläge in beide Richtungen folgt früher oder später eine gezielte Rückkehr zur Mitte (Mean Reversion). Frühwirths Tipp für den langfristigen Erfolg: "Dauernd am Handy zu sitzen und die Wertentwicklung zu prüfen, ist ganz schlecht." (eml)


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