Geldwäscheexperte: "Ich würde heute keinen Beleg mehr wegwerfen"
Die Regulierungsdichte ist eine Hürde für Anleger, sagen der Kapitalmarktexperte Günther Ritzinger und Eric Samuiloff, Obmann der Wiener Finanzdienstleister. Sie berichten über Banken, die Transfers blockieren, weil generationenübergreifende Belege fehlen und über verwirrende ESG-Regeln.
Die komplexen Regularien, die der Finanzmarkt in den vergangenen 20 Jahren verordnet bekam, würden immer "treffunsicherer"; ausufernde Vorgaben würden die Finanzdienstleister wirtschaftlich belasten und am Ziel des Verbraucherschutzes vorbeilaufen, sagten Eric Samuiloff, Obmann der Fachgruppe Finanzdienstleister in Wien und Günther Ritzinger, Chef des auf den Kapitalmarkt und auf Regulierungen spezialisierten Beratungsunternehmens KCU, vor Journalisten in Wien. Zu den Problemen gehöre die Flut an zig Dokumentseiten von der vorvertraglichen Information bis zu den Vertragsunterlagen, die die Kunden schlicht nicht lesen. Auch das unschlüssige Vorgehen der EU-Gesetzgeber beim dominanten Thema Nachhaltigkeit sei eine Herausforderung, kritisiert Samuiloff.
So müssen die Berater ihre nachhaltig orientierten Anleger mit der verwirrenden Systematik konfrontieren, in der anzugeben ist, ob man die EU-Taxonomie, die EU-Offenlegungsverordnung oder doch die Einzelfaktoren (PAIs) berücksichtigt haben möchte. Und ob nun Sektoren wie Atomkraft oder Rüstung nachhaltig sind, unterliege ebenfalls ständig einer Neubeurteilung. Dazu kommt, dass sich Produktanbieter zuletzt wegen Performanceproblemen aus Nachhaltigkeitsinvestitionen zurückgezogen haben, in die sie regulierungsbedingt gedrängt wurden. Dieses Hin und Her zu erklären sei nicht gerade einfach. Vieles, was in den vergangenen Jahren an Vorschriften und laufenden Änderungen derselbigen dazukam, bleibe bei den Finanzberatern hängen. Gestiegen sei nicht nur der Erklärungsaufwand bei nachhaltigen Produkten. Auch die Kosten würden zunehmend zur Belastung, so Samuiloff.
Vierteljährliche PEP-Abfrage
Zum Beispiel müssen Finanzdienstleister nach derzeitiger Auslegung alle drei Monate überprüfen, ob die Kunden eine politisch exponierte Person (PEP) sind. Das gelte selbst für den Kleinanleger, der einen konservativen Anleihenfonds mit unverdächtigen Beträgen abschließt, wie Samuiloff aus der Praxis berichtet. "Die Geldwäschevorschriften sind wichtig. Aber sie sollten dort angewendet werden, wo es Sinn macht. Dass man über alle Kunden hinweg vierteljährlich die PEP-Prüfung laufen lassen muss, ist einfach nicht verhältnismäßig", so Samuiloff. Am Ende würden die steigenden Regulierungskosten die Renditen der Kunden in der Finanzberatung belasten.
"Es gibt eine Schieflage. Finanzdienstleister haben im Vergleich zu anderen Branchen wie Immobilien oder Gastronomie, die in der Lebensrealität häufig für Geldwäschezwecke missbraucht werden, viel strengere Regeln erhalten", sagt auch Unternehmensberater Ritzinger. Unter den Marktteilnehmern habe sich eine "Angstkultur" etabliert, die zur Hürde für die Anleger werde.
Schwierigkeiten beim Geldtransfer oder Bankwechsel
So würden Banken teils Transaktionen zurückhalten, wenn Kunden die Mittelherkunft nicht über mehrere Jahrzehnte hinweg nachweisen können, beziehungsweise würden mitunter Bankwechsel scheitern, weil das neue Institut Lücken sieht. Teils müssten Erben belegen, woher das Vermögen des Erblassers stammt, verlangt werden aber auch Bescheinigungen, aus welchen Mitteln eine vor Jahrzehnten abgeschlossene Lebensversicherung einbezahlt wurde, oder Personen sind im Alter damit konfrontiert, dass sie bei einem Transfer aufgefordert werden, die im Lauf des Lebens erwirtschafteten unternehmerischen Einkünfte zu erklären. Ebenso kann die Veräußerung von Goldmünzen, die ja in der Regel als langfristige Anlage dienen, zum Problem werden, wenn die Kaufunterlagen fehlen. In einem Fall – hier ging es nicht um eine Banktransaktion, sondern eine unternehmensinterne Revision – sei er konsultiert worden, weil ein Nachweis für die Kapitalherkunft für eine Firmengründung eingefordert wurde, die rund 50 Jahre zurücklag, sagt Ritzinger.
Wie häufig solche Probleme auftreten, bezifferten die Experten nicht. Ob es sich in den beschriebenen Fällen um berechtigte Geldwäschebedenken handelte, kann von außen ebenfalls nicht beurteilt werden. Jedoch korrespondieren Beleganforderungen, die sich über einen derart langen Zeitraum erstrecken, kaum mit anderen üblichen Fristen: Vor den österreichischen Steuerbehörden gelten laut Wirtschaftskammerangaben etwa Verjährungsfristen zwischen drei und zehn Jahren. Die meisten Bürger rechnen mit einer entsprechend langen Pflicht, ihre Unterlagen aufzubewahren. Die Verjährung sei vom Gesetzgeber eingerichtet worden, um Rechtssicherheit zu schaffen, im Aufsichtsbereich gebe es diese Rechtssicherheit jedoch nicht, kritisiert Ritzinger. "Das ist eine Riesenlücke im europäischen Rechtssystem. Man weiß nicht, wie lang zurück die Mittelherkunft geprüft werden muss", so Ritzinger.
Aufheben statt ausmisten
Auch sei weitgehend unklar (und dementsprechend oft überraschend), welche Unterlagen vorgelegt werden müssen. Oft reiche nicht die Bestätigung des Kreditvertrags, um zu beweisen, dass das Geld von der Bank stammt, dann müsse der Vertrag selbst vorgelegt werden – so er noch vorhanden ist. "Ich würde heute keinen Beleg mehr wegwerfen", so Ritzinger.
Samuiloff betont, dass die Überregulierung und die zahlreichen Unklarheiten ein europäisches Thema seien und nicht vorrangig eines der österreichischen Aufsicht. Dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren im Dezember neu bestellten Kommissaren einen Bürokratieabbau von rund einem Viertel des Ausmaßes verordnet hat, stimmt Samuiloff für seinen Bereich nicht zuversichtlich. "Ich bin skeptisch. Das Review von Mifid führte zu Mifid II und damit zu einer starken Ausweitung der Vorschriften. Bei all den Regularien in den vergangenen 20 Jahren haben wir noch nie gesehen, dass etwas zurückgenommen wurde", so Samuiloff. Der Aufwand für die gewerblichen Finanzdienstleister sei "massiv gestiegen". Für viele stelle sich zunehmend die Frage nach der beruflichen Zukunft. "Es ist zu viel", so Samuiloff. (eml)