Finanzpsychologie: So überzeugen Berater selbst Vorsorgemuffel
"Wann beginnt die Zukunft?" Diese Frage klingt nicht nur seltsam, jeder Mensch beantwortet sie auch anders. Vom Ergebnis hängt ab, wie leicht er sich tut, fürs Alter zu sparen, so eine Erkenntnis aus der Psychologie. Das können Finanzberater für ihre Arbeit nutzen.
Es ist schon erstaunlich: Viele Menschen tun sich unheimlich schwer damit, ihre Altersvorsorge anzugehen – obwohl ihnen bewusst ist, dass die gesetzliche Rente nicht ausreichen wird, um ihren Lebensstandard im Ruhestand zu sichern. Auch erfahrene Finanzberater beißen oft genug auf Granit. Warum ist das so?
"Das Wissen um die Notwendigkeit der Altersvorsorge ist bei den meisten Menschen vorhanden", sagt Monika Müller, Gründerin von FCM Finanz Coaching in Wiesbaden. "Das mag vor 20 Jahren noch anders gewesen sein, aber diese Wissenslücke wurde geschlossen." Sprich: Es gibt kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. "Reicht es in diesem Fall, nur das Finanzwissen zu steigern? Offensichtlich nicht", meint Müller. "Für mich heißt das, dass es Persönlichkeitsmerkmale geben muss, die Menschen daran hindern, ihr Wissen auch in die Tat umzusetzen." Also machte sich die Diplom-Psychologin auf die Suche – und stieß auf Forschungsergebnisse, die in der Praxis bislang kaum Anwendung finden.
Müllers Beobachtung zufolge greifen Finanzberater gern zu zwei Tricks, um ihre Kunden dazu zu bringen, Geld fürs Alter beiseitezulegen: "Einige schüren Angst vor der Altersarmut", sagt sie. "Andere wiederum schwärmen den Kunden vor, welche Träume sie sich später erfüllen können, wenn sie heute ein klein wenig Verzicht üben. Beide Ansätze sind allerdings wenig förderlich, wenn es darum geht, gute Finanzentscheidungen zu treffen."
Zwei Ansätze
Bei ihren Recherchen stieß Müller auf zwei Konzepte, die seriösen Finanzberatern neue Ansätze liefern könnten, vorsorgeunwillige Kunden zu verstehen – und mit ihnen gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten. Das eine ist das "Future Self"-Konzept, das andere hängt mit der Frage zusammen, wann eigentlich die Zukunft beginnt. Wie bitte? Was hat eine solche Frage denn mit Finanzberatung zu tun? "Das Verständnis von Gegenwart ist individuell", sagt Müller. Oder anders formuliert: "Die Frage, wann die Gegenwart endet und die Zukunft beginnt, beantwortet jeder Mensch unterschiedlich. Und das beeinflusst auch seine Finanzentscheidungen."
Die FCM-Gründerin erläutert, dass "zeitraumbezogene Aspekte" unsere Entscheidungen im Hier und Jetzt prägen. "Einerseits beeinflussen die Bedürfnisse der Gegenwart unsere Entscheidungen, andererseits spielen auch die Erfahrungen aus der Vergangenheit und die Konsequenzen für die Zukunft eine Rolle", sagt Müller. Sie verweist auf eine 2020 veröffentlichte Studie der beiden Psychologen Hal Hershfield und Sam Maglio. Demnach treffen Menschen, die glauben, dass die Gegenwart früher endet und sich eindeutig von der Zukunft abgrenzen lässt, eher zukunftsorientierte Entscheidungen.
Der Berater kann die Einstellung des Kunden nicht ändern
"Diese Erkenntnis lässt sich auf Finanzentscheidungen übertragen", sagt Müller. "Einem Kunden, der den morgigen Tag schon als Zukunft sieht, fällt es leicht, für die Zukunft zu planen und Geld dafür zurückzulegen. Wer dagegen der Überzeugung ist, dass die Zukunft erst in fünf Jahren beginnt, wird sich dazu nur schwerlich aufraffen – schließlich wirkt die Zukunft für ihn kaum planbar." Interessanterweise bleibt diese Wahrnehmung im Lauf des Lebens relativ stabil. "Es handelt sich um ein Persönlichkeitsmerkmal, ähnlich wie die finanzielle Risikobereitschaft", sagt Müller. "Der Berater kann dieses Thema mit seinem Kunden besprechen und zielgerichtet darauf eingehen, dessen Einstellung wird er aber nicht ändern können."
Und was kann ein Berater tun, wenn er weiß, dass sich sein Kunde aus den beschriebenen Gründen schwertut, für die Zukunft zu planen? "Er sollte davon Abstand nehmen, von 'Vorsorge für die Zukunft' zu sprechen – da schaltet der Kunde gedanklich sofort ab", rät Müller. "Betont werden sollte eher, warum die Entscheidung schon für das Jetzt bedeutsam ist. Sinnvoll ist es in einem solchen Fall auch, eher mehrere kleine Schritte zu tun, als gleich über Verträge mit langer Laufzeit und großen Summen zu sprechen."
"Future Self"
Hilfreich für Finanzberater kann auch das oben erwähnte "Future Self"-Konzept sein. Im Zentrum steht hier die Frage, ob ein Mensch eine eher schwache oder eher starke Verbindung zu seinem zukünftigen Selbst aufbaut. "Wer sein Zukunfts-Ich als 'Fremden' wahrnimmt, wird kaum das Bedürfnis verspüren, fürs Alter vorzusorgen", so Müller.
Doch an dieser Wahrnehmung lässt sich arbeiten – mit positiven Folgen für das Sparverhalten, wie Hershfield mit anderen Wissenschaftlern herausfand. Eine Möglichkeit ist, den Fokus stärker auf das zukünftige Selbst zu richten und Gemeinsamkeiten zu identifizieren. "Die Erkenntnis, dass mein Zukunfts-Ich mir näher ist, als ich zunächst vielleicht dachte, steigert die Bereitschaft, Geld beiseitezulegen", erläutert Müller. Ähnlich wirkt die zweite Option – nur in die andere Richtung: Das gegenwärtige Selbst wird in die Zukunft projiziert. "Das Aufdecken von Fähigkeiten und Eigenschaften, die auch im späteren Leben zentral für eine Person sind, kann die wahrgenommene Ähnlichkeit des Future Self mit dem gegenwärtigen Selbst erhöhen und damit das Sparverhalten fördern", so die Diplom-Psychologin.
Dem gealterten Ich in die Augen blicken
Erste Finanzunternehmen nutzen diese Erkenntnis schon. So ließ der Versicherer Neue Leben ein KI-Tool entwickeln, das es erlaubt, dem gealterten Ich in die Augen zu blicken und mit ihm über die Altersvorsorge zu sprechen (FONDS professionell ONLINE berichtete). "Wenn sie gut gemacht sind, können solche Tools tatsächlich dabei helfen, eine Beziehung zum Zukunfts-Ich aufzubauen", meint Müller. "Es bleibt aber das Risiko, dass man beim Anblick seines älteren Ichs erschrickt. Das wäre dann kontraproduktiv." Sie empfiehlt Beratern eher, dem Kunden vorzuschlagen, gedanklich das Future Self mit an den Tisch zu holen. "Im Idealfall steht am Ende eine Finanzentscheidung, die dieses Trio gemeinsam erarbeitet hat." (bm)