Value-Profi: "Erfolgreiche Aktienauswahl braucht Mensch und Maschine"
Schon seit Jahrzehnten prägt der bereits von Gründer Frank Lingohr entwickelte "Chicco"-Prozess das Value Investing von Lingohr Asset Management. Nun hofft das Unternehmen, mit der Integration von künstlicher Intelligenz einen entscheidenden Schritt in die Zukunft gemacht zu haben.
Seit inzwischen über 30 Jahren hilft der unter dem Namen "Chicco" bekannt gewordene Asset-Management-Prozess der Düsseldorfer Lingohr Asset Management, werthaltige Aktien systematisch zu identifizieren und emotionale Fehlentscheidungen zu minimieren. "Unser Ansatz kombiniert seit jeher eine quantitative Vorauswahl basierend auf fundamentalen Bewertungsparametern mit menschlicher Expertise", erläutert Harald Sporleder, Chief Investment Officer der auf werthaltiges Investieren konzentrierten Düsseldorfer Boutique. "Das hat sich als gesundes Korsett für unsere Investmententscheidungen bewährt."
Für den Experten bilden Daten das Rückgrat eines erfolgreichen Investmentprozesses, sie seien gerade im digitalen Zeitalter die Grundlage jeder fundierten Entscheidung. Es sei daher nur folgerichtig, in Zukunft zusätzlich auf künstliche Intelligenz zu setzen. "Unsere langjährige Erfahrung, verbunden mit einer robusten IT-Infrastruktur und einem engagierten Team von Datenexperten, ermöglicht uns eine präzise Analyse der Aktienmärkte", so Sporleder. Das hausinterne Data-Warehouse versorge das gesamte Investmentteam mit maßgeschneiderten Kennzahlen und Informationen, die für die Aktienselektion entscheidend seien.
Hürden, die es erfolgreich zu nehmen gilt
Der hausinterne Chicco-Prozess, benannt nach dem italienischen Wort für "Perle", wurde bereits 1993 vom Gründer Frank Lingohr etabliert. Dem Unternehmen zufolge sorgte dieser systematische Ansatz dazu, dass die Lingohr-Strategien, trotz einer längeren Value-Durststrecke, auf lange Sicht deutlich im Plus stehen und einen positiven Performancebeitrag für ihre Anleger leisteten.
Die erste Hürde in dem Prozess ist das Screening der Aktien nach fundamentalen Bewertungsparametern. Hierbei werden potenzielle Kaufkandidaten identifiziert, die zu den attraktivsten 30 Prozent ihres Sektors gehören müssen. Laut Sporleder minimiert diese Methodik strukturelle Verzerrungen und gewährleistet eine hohe Vergleichbarkeit der Unternehmen. "Die Komplexität und Dynamik der globalen Kapitalmärkte erfordert eine präzise und sektorale Analyse, um die besten Investmentmöglichkeiten zu identifizieren", ist der Aktienexperte, der lange Jahre für Allianz Global Investors gearbeitet hatte, überzeugt.
Mit Hilfe von KI die Muster des Marktes erkennen
An der zweiten Hürde gelte es, das aktuelle Marktumfeld zu berücksichtigen. Mithilfe von KI und maschinellem Lernen sollen deshalb künftig die aktuellen Marktzyklen und ihre Auswirkungen auf Value-Aktien analysiert werden. "Wir haben ein Modell entwickelt, das versucht, die Muster des Marktes zu erkennen und daraus ein Scoring für jede Aktie zu erstellen", erläutert Sporleder. Dieses Scoring helfe dem Portfoliomanagement, die Attraktivität einer Aktie im aktuellen Marktumfeld besser zu bewerten.
Das sei geradezu wesentlich für den Ansatz eines erfolgreichen Value-Investings. Der Anlagestil suche bekanntlich nach Aktien, die als unterbewertet angesehen und damit vom Markt übersehen oder unterschätzt werden, die also unter ihrem intrinsischen Wert notieren, um von einer zukünftigen Preissteigerung zu profitieren, wenn ihr wahrer Wert erkannt werde. Damit folge Value-Investing eben keinen Trends, sondern wende sich häufig gegen die allgemeine Marktmeinung.
Jede Phase von unterschiedlichen Präferenzen begleitet
"Die aktuelle Marktlage zeigt, wie schnell es zu einer erheblichen Rotation kommen kann, sodass dann die Gewinner der vergangenen Monate massiv abgewertet werden. Das kann für Anleger, die Aktien mit einem hohen Aufschlag erworben haben, unangenehm werden", führt Sporleder weiter aus. "Value Investing versucht, dieses Risiko zu vermeiden." Die Erfahrung lehre, dass jede Phase eines Marktzyklus auch von unterschiedlichen Präferenzen begleitet werde. Sporleder: "In einer Rezession wird die Verschuldung von Unternehmen ein relevanter Faktor sein, in einer wirtschaftlichen Erholung sind eher Deep-Value-Faktoren wichtig, fallende oder steigende Zinsen wirken sich unterschiedlich aus, und auch das messbare Kapitalmarktumfeld, ausgedrückt in Spreads oder Momentum, kann entscheidende Signale liefern."
Diese dynamischen Beziehungen lassen sich laut Sporleder nicht linear abbilden. "Durch den Aufbau und das kontinuierliche Training eines neuronalen Netzes werden die entscheidenden Muster erkannt, um daraus die aktuelle Relevanz von Investmentfaktoren zu prognostizieren", so der erfahrene Börsianer. Das Modell integriere daher eine Vielzahl von Datenquellen, einschließlich makroökonomischer Indikatoren, Unternehmenskennzahlen und Marktstimmungen, um ein umfassendes Bild des aktuellen Marktzustands zu erstellen.
Der Mensch bleibt unverzichtbar
Im letzten Schritt aber komme auch weiterhin die menschliche Expertise ins Spiel. Trotz aller technologischen Fortschritte bleibe der Mensch ein unverzichtbarer Bestandteil des Entscheidungsprozesses. "Unsere Portfoliomanager überprüfen jede Aktie gründlich und berücksichtigen dabei auch qualitative Aspekte, die in den quantitativen Modellen möglicherweise nicht erfasst werden", betont Sporleder.
Diese ganzheitliche Beurteilung garantiere ein fundiertes Handeln. Die Kombination aus KI und menschlicher Expertise ermögliche aber künftig präzisere und schnellere Entscheidungen, um die Performance der Portfolios nachhaltig zu stärken. "Unsere langfristige Anlagephilosophie bleibt daher unverändert", gibt sich Sporleder vom eigenen Ansatz überzeugt. "Aber wir integrieren kontinuierlich neue Erkenntnisse und Technologien, um unseren Ansatz zu verbessern." Denn die Zukunft einer weiterhin erfolgreichen Aktienselektion liege ohne Zweifel in einer gelungenen Integration von Mensch und Maschine. (hh)