Jetzt wird es ernst: Liontrust unterbreitet Angebot für GAM
Nun ist es offiziell: Die Londoner Fondsgesellschaft legt eine Kaufofferte für das strauchelnde Schweizer Haus vor. Das Angebot liegt unter dem aktuellen Marktwert. Der GAM-Verwaltungsrat begrüßt den Deal. Ob auch die Aktionäre mitziehen, ist offen.
Die britische Investmentboutique Liontrust hat ein Angebot zur Übernahme des Schweizer Fondshauses GAM vorgelegt. Dies teilten die beiden Häuser am Donnerstagfrüh (4.5.) mit. Nehmen die Aktionäre das Angebot an, entsteht ein Asset Manager mit einem verwalteten Vermögen von 53 Milliarden britischen Pfund (60 Mrd. Euro). Der Verwaltungsrat von GAM begrüßt den Deal. Vor zwei Wochen war bereits bekannt geworden, dass Liontrust das strauchelnde Schweizer Haus übernehmen will. Auch andere Gesellschaften sollen Interesse bekundet haben.
GAM ringt seit Jahren mit Mittelabzügen. Hintergrund ist unter anderem eine Affäre um einen ehemaligen Fondsmanager, der gegen Richtlinien verstoßen haben soll. Fonds mit einem Milliardenvolumen mussten aufgelöst werden. Die Schweizer Gesellschaft sucht seit vergangenem Sommer einen Käufer. Der Kurs der GAM-Aktie war daraufhin von über 15 auf zeitweise unter 0,50 Franken gefallen. Die Meldung über das Interesse der Briten ließ den Kurs zeitweilig auf mehr als 0,90 Franken hochschießen.
Übernahmephantasie vor Ernüchterung
Die Londoner Boutique bietet nun 0,0589 Aktien von Liontrust für jede GAM-Aktie. Dies würde die Aktie der Schweizer mit 0,67 Franken bewerten. Demnach umfasst der Deal ein Volumen von 107 Millionen Schweizer Franken (rund 109 Millionen Euro). Das GAM-Papier notierte an der Schweizer Börse Six am Vorabend der Bekanntgabe zu einem Schlusskurs von 0,80 Franken, was einer Marktkapitalisierung von rund 128 Millionen Franken entspricht. Zum Handelsauftakt gab der Kurs der Aktien dann deutlich nach und sank zeitweise unter den Angebotspreis auf 0,62 Franken.
Liontrust will die Übernahme mithilfe der Ausgabe von 9,4 Millionen neuen Stammaktien stemmen. Zum Abschluss der Transaktion sollen die GAM-Aktionäre einen Anteil von rund 12,6 Prozent am vereinten Unternehmen erhalten. Die Übernahme soll bis zum vierten Quartal abgeschlossen sein. Die Briten wollen dem angeschlagenen Schweizer Haus zur Überbrückung zudem über zwei Kreditlinien bis zu 17,8 Millionen britische Pfund (20 Mio. Euro) zuschießen.
"Kulturen passen zusammen"
"Dies ist eine bedeutende Akquisition, die das Wachstum von Liontrust beschleunigt, indem sie unseren weltweiten Vertrieb, unsere Produktkapazität und unsere Investmentteams stärkt", sagte Liontrust-Vorstandschef John Ions der Mitteilung zufolge. Das bestehende Produktangebot von GAM ergänzt das von Liontrust insbesondere in den Bereichen Anleihen und Alternatives. "Unsere beiden Investmentansätze und -kulturen passen zusammen", ergänzte GAM-Vorstandschef Peter Sanderson. "Dieser Zusammenschluss ist eine Chance für unsere talentierten Teams bei GAM und für unsere Kunden."
Auch GAM-Verwaltungsratspräsident David Jacob lobt die Vorzüge des angestrebten Zusammenschlusses. "Ich bin zuversichtlich, dass die Loyalität unserer Kunden belohnt werden wird, da sie nun von den erweiterten Möglichkeiten und der Stabilität des kombinierten Unternehmens profitieren werden", so Jacob. "Unsere Aktionäre waren geduldig, und meine Verwaltungsratskollegen und ich empfehlen ihnen einstimmig, ihre Aktien als Antwort auf das Angebot von Liontrust anzudienen."
Unbekannte Größe
Ob die GAM-Anteilseigner dem Deal zustimmen, ist offen. Erst Ende April hatte die Investorengruppe Newgame mitgeteilt, dass sie einen Anteil in Höhe von 7,5 Prozent der GAM-Aktien erworben habe. Hinter der Gruppe, die sich selbst mal NewGAMe, mal NewGAM schreibt, stecken der Genfer Vermögensverwalter Bruellan sowie die französische NJJ Holding. Dabei wiederum handelt es sich um eines der beiden Investmentvehikel des französischen Internet- und Telekommilliardärs Xavier Niel. Mit ihrem Minderheitsanteil könnte Newgame die Übernahme durch Liontrust torpedieren. Ob das auch die Absicht der Gruppe ist, erscheint bislang unklar.
Verlust geringer als befürchtet, aber Liquidität schwindet
GAM veröffentlichte zudem seine endgültigen Jahresergebnisse. Die Bekanntgabe war mehrfach verschoben worden. Demnach fuhr das Haus 2022 einen Nettoverlust nach IFRS in Höhe von 290 Millionen Franken ein. Nach vorläufigen Zahlen hatten die Schweizer sogar mit fast 310 Millionen Franken gerechnet. Im Vorjahr waren es 23,3 Millionen Franken gewesen. Der operative Verlust bezifferte sich 2022 auf 42,5 Millionen Franken gegenüber 9,6 Millionen Franken im Jahr 2021. Obendrein schwindet die Nettoliquidität. Sie verringerte sich um 41 Prozent auf 138 Millionen Franken.
Das verwaltete Vermögen bezifferte sich per Ende 2022 auf insgesamt 75 Milliarden Franken, davon 23,2 Milliarden im Bereich Investment Management, bei dem GAM selbst die Fonds steuert, und 51,8 Milliarden im Bereich Fund Management Services, in dem GAM Fondsdienstleistungen für externe Manager bietet. Unter dem Strich zogen Anleger 8,6 Milliarden Franken von dem Haus ab. Für das erste Quartal 2023 meldet das Haus Nettomittelabflüsse in Höhe von 5,3 Milliarden Franken, die überwiegend dem Bereich Fund Management Services entspringen. (ert)