Der Börsenverbund Euronext macht beim Thema Verteidigung offenbar Nägel mit Köpfen. Mit einem Bündel an Maßnahmen, das bis hin zur Förderung des Militärdiensts der Mitarbeiter geht, präsentiert sich Euronext als Börsendrehkreuz für die Finanzierung der strategischen Autonomie Europas.

Eingeführt werden drei neue Indizes, der Euronext European Energy Security Index (konventionelle Energie, Kernkraft, erneuerbare Energien und kritische Energieinfrastrukturen), der Euronext European Aerospace & Defence Index (Innovatoren und Marktführer in Luft- und Raumfahrt, Verteidigungstechnologien, Fertigung) und der Euronext European Strategic Autonomy Index (Verteidigung, Energie, Technologie).

"New ESG"
Dass Euronext Energie, Sicherheit, Geostrategie als "New ESG" definiert, dürfte Diskussionen bei Anbietern klassischer Nachhaltigkeitsprodukte hervorrufen. Hinzu kommt ein provokanter Aufruf an die ESG-Ratingagenturen. Wegen der ESMA-Produktnamensvorgaben ändert Euronext per Juni die ESG-Methodologie (Environment, Social, Governance) bestehender Blue-Chip-ESG-Indizes, nämlich CAC 40 ESG und MIB ESG. In der EU-Leitlinie gibt es Exklusionen für Rüstungsaktivitäten, die durch internationale Verträge verboten sind. Euronext will das Feld dabei möglichst breit halten. Man werde auch "ESG-Ratingagenturen dazu ermutigen, ihr Konzept der umstrittenen Waffen auf Rüstungsaktivitäten zu beschränken, die durch einschlägige internationale Verträge verboten sind". Denn das stehe im Einklang mit den ESMA-Leitlinien.

Roland Kölsch vom deutschen FNG-Siegel zeigt sich über das Wording entrüstet. "Es mutet seltsam an, dass Finanzakteure, noch dazu welche, die sich vor einigen Jahren in keiner Weise ernsthaft mit Nachhaltigkeit in der Geldanlage auseinandergesetzt haben, definieren und ESG-Agenturen vorschreiben wollen, was selbst bei Waffen nachhaltig oder verwerflich ist", so Kölsch. Er warnt davor, dass durch "semantische Tricks" die Definitionsgrenzen von kontroversen und geächteten Waffen verschwimmen.

Hub, Börsengänge
Bei Euronext sind die Indizes und das ESG-Thema wohl eher eine Randerscheinung. Das neue Programm umfasst auch einen "European Aerospace and Defence Growth Hub", der bis Ende 2025 eingerichtet werden soll. Hier geht es um Finanzmittel für die Lieferkettensicherheit für Luft- und Raumfahrt- sowie Verteidigungsunternehmen in Europa. Über den Hub sollen sich Unternehmer und Führungskräfte austauschen, beziehungsweise soll ein Investoren-Finanzierer-Matching zustande kommen.

Bereits für das dritte Quartal 2025 ist unter dem Begriff "IPOready Defence" Europas größtes Pre-IPO-Programm geplant, das Verteidigungs- oder Luft- und Raumfahrtunternehmen den Börsengang erleichtern soll, wie es heißt. Dazu gehört etwa ein Schulungsprogramm für die Finanzierungsbedürfnisse des Sektors. Das Programm wird von der Europäischen Union und der Europäischen Investitionsbank über den Rahmen der Invest-EU-Beratungsplattform unterstützt.

Anleihen und Militärdienst
Erleichterungen soll es zudem für die Emission europäischer Verteidigungsanleihen geben. Es wurde ein eigenes Segment dafür eingeführt, das Zugang zu einem beschleunigten Zulassungsverfahren an den Euronext-Märkten ermöglicht und Kleinanlegern eine größere Sichtbarkeit bietet, wie es heißt. Nicht nur der Primär- sondern auch der Sekundärmarkt für Anleihen soll gestärkt werden.

Das "New ESG" könnte direkt auch für einzelne Mitarbeiter relevant sein: Euronext zahlt die Gehälter und Sozialleistungen für Vorausbildungszeiten von bis zu 15 Tagen für alle neuen Reservisten und bis zu zehn Tagen pro Jahr für Euronext-Mitarbeiter an allen europäischen Standorten der Gruppe, die bereits in einem Reservistendienst tätig sind. (eml)