Erste-Group-Chef Cernko: "Keine echte Rezession"
Willibald Cernko, Vorstandsvorsitzender des börsenotierten österreichischen Bankkonzerns Erste Group, bleibt trotz der Warnungen von EZB und Regulatoren vor Kreditausfällen zuversichtlich. Kritik übt er in einem Interview mit der "FAZ" an der fehlenden Standort- und Energiepolitik in Europa.
Trotz der hohen Energiepreise und der enormen Teuerung in Europa erwartet Erste-Group-Vorstandschef Willibald Cernko keinen drastischen Einbruch des Wirtschaftswachstums. "Wir werden 2023 ein konjunkturelles Soft Landing erleben. In unseren Märkten dürfte das Wachstum zwischen null und einem Prozent liegen. Von einer echten Rezession kann keine Rede sein. Für viele Menschen werden die hohe Inflation und die steigenden Energiepreise allerdings eine große Herausforderung", so Cernko in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung "FAZ".
Die Nachfrage nach Krediten werde zwar "deutlich schrumpfen", die Bank erwarte aber immer noch ein Wachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich. Dass EZB und der Aufseher vor Kreditausfällen warnen, sei erwartbar. Man werde auch die angekündigte Dividende von 1,90 Euro für 2022 zahlen. Die Ausfallraten würden auf einem historischen Tief liegen, die Kreditrisikokosten knapp über null, das Eigenkapital hätten die Banken seit 2008 deutlich erhöht.
Menschen können Kredite zurückzahlen
Die Folgen der enormen Teuerung und der veränderten Zinssituation würden die Bank zwar "noch lange beschäftigen". "Aber viele Unternehmen verfügen über eine gute Kapital- und Liquiditätsbasis. Der Arbeitsmarkt ist sehr robust. Mit dem Blick nach vorne deutet sich keine Verschlechterung an. Die Leute haben Arbeit, verdienen Geld, geben es aus und fragen Kredite nach, die sie dann auch zurückzahlen", so Cernko in dem "FAZ"-Interview.
Kernmarkt der Erste Group bleibe neben Österreich weiter Zentral- und Südosteuropa mit der Tschechischen Republik, der Slowakei, Kroatien, Rumänien, Ungarn und Serbien. "Dort wollen wir jeweils unter den größten drei sein." Cernko, der das zwei Milliarden Euro große Kreditportfolio der Sberbank in Tschechien übernommen hat, zeigte sich offen für weitere Ergänzungen. Ein konkretes Übernahmeprojekt verfolge man nicht. Ein Zukauf müsse "binnen zwei Jahren vernünftige Ergebnisbeiträge liefern".
Als die wichtigsten Aufgaben für den Konzern bezeichnete Cernko die Verbesserung der Datenanalyse, "weil wir so die Bedürfnisse unserer Kunden besser verstehen", und die weitere Digitalisierung des Geschäfts. Beides berge großes Wachstumspotenzial.
Forderung nach europäischer Standort- und Energiepolitik
Von Europa erwartet er sich "endlich eine gemeinsame Standort- und Energiepolitik auf die Beine zu bringen" und verwies dabei auf den weltweiten Wettbewerb um die Ansiedlung von Schlüsselindustrien wie Chipfertigung, Elektromobilität, Pharmaproduktion. "Europa muss eine aktivere Rolle spielen."
Der US Reduction Act mit Fördergeldern von mehr als 350 Milliarden Euro für Unternehmen, die in den USA produzieren, könne Europa "in der Tat nicht erfreuen". Das habe "mit freiem Wettbewerb und Handel wenig zu tun". Europa müsse sich Fragen nach der Entwicklung eines Wirtschaftsraums mit klarem Profil stellen, oder wie die Wirtschaftsbeziehungen zu Amerika aussehen, und wie man mit China oder Russland umgehen soll.
Ihm gehe es nicht um mehr öffentliche Gelder. Es müsse sichergestellt werden, dass Betriebe die Mittel abrufen können. "Die Genehmigungsverfahren sind zu lang, es gibt zu viel Bürokratie. Hier liegt vieles im Argen, was unternehmerisches Engagement hemmt und verhindert, dass Europa auf Augenhöhe mit Amerika und China verhandeln kann. Wenn wir das nicht können, wären wir womöglich dazu verdammt, in einen Subventionswettbewerb einzutreten", so Cernko. (eml)