ChatGPT & Co.: KI bereitet Junior-Bankern zunehmend Kopfzerbrechen
Der Einsatz von KI an der Wall Street nimmt zu – und damit auch die Angst junger Banker. Während Algorithmen Routineaufgaben übernehmen, wächst die Furcht vor Wissenslücken und Karriererisiken. Führende Finanzexperten diskutieren, ob KI die Talententwicklung bremst oder sogar beschleunigt.
Für viele Junior-Banker an der Wall Street gehören repetitive Aufgaben zum Berufsalltag – doch mit dem verstärkten Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) könnte sich das bald ändern. Während KI zeitraubende Tätigkeiten wie Finanzmodellierung oder Datenanalyse übernimmt, wächst jedoch die Sorge unter Nachwuchsbankern: Verlieren sie dadurch entscheidende Lernmöglichkeiten?
Traditionell gilt die harte Routinearbeit als essenzieller Bestandteil der Ausbildung, insbesondere für Quereinsteiger ohne finanzwirtschaftlichen Hintergrund. "Das Lesen und Analysieren von Dokumenten ist ein Prozess, den man lernen muss", sagt Jeanne Branthover, Leiterin der Finanzdienstleistungen bei DHR Global. Wenn KI diese Aufgaben übernimmt, könne das für junge Banker nachteilig sein.
Mehr Effizienz, aber kein kürzerer Arbeitstag
KI kann dabei helfen, lästige Detailarbeiten – etwa Formatierungen oder Datenauswertungen – zu reduzieren. Doch Analysten erwarten nicht, dass dies zu einer verkürzten Arbeitszeit führt. Vielmehr könnte es dazu führen, dass neue Mitarbeiter einfach mehr Aufgaben zugewiesen bekommen – ein Effekt, der die ohnehin fordernde Wall-Street-Kultur weiter verstärkt.
Der KI-Boom nahm mit der Einführung von ChatGPT Fahrt auf und hat mittlerweile auch die Finanzbranche erfasst. Große Investmentbanken und Boutiquen testen und implementieren generative KI-Tools, einige davon bereits in fortgeschrittenen Entwicklungsstadien.
So nutzen Junior-Banker der Citigroup das Tool Citi Stylus, um relevante Informationen aus behördlichen Unterlagen, Pressemitteilungen und Kreditvereinbarungen effizienter zu extrahieren. "Wir erhalten bereits positives Feedback von unseren Junior-Bankern", sagt David Griffiths, Chief Technology Officer der Bank.
"Es ist ein Wettrüsten"
Trotz der Effizienzgewinne bleibt die Frage: Was bedeutet KI für die Talententwicklung? "Wir können viele der grundlegenden Aufgaben durch Maschinen ersetzen, aber was bedeutet das für die langfristige Entwicklung unserer Talente?", fragte Nir Bar Dea, CEO von Bridgewater Associates, kürzlich auf der Bloomberg Invest-Konferenz. Harte Arbeit sei essenziell, um Analysten auf anspruchsvollere, strategische Aufgaben vorzubereiten.
Einige Experten gehen noch weiter: "Es besteht kein Zweifel, dass Menschen mit KI Menschen ohne KI ersetzen werden", sagt Gabriel Stengel, ehemaliger Investmentbanker von Lazard. "Es ist ein Wettrüsten – wer nicht mitzieht, verliert den Wettstreit um die besten Deals."
Neue Karrierepfade durch Automatisierung?
Während viele vor mangelnder Erfahrung durch den Einsatz von KI warnen, sehen einige Experten darin eine Chance für einen schnelleren Karriereaufstieg. Joel Hellermark, CEO von Sana Labs, argumentiert, dass KI nicht nur Prozesse vereinfache, sondern auch für eine "Demokratisierung von Expertenwissen" sorge.
Auch in Schweden zeigt sich das Potenzial: Grasp Research und Sana Labs haben die Unternehmensrecherche automatisiert und helfen Finanzunternehmen dabei, potenzielle Kunden zu identifizieren und Daten zu synthetisieren. Laut Grasp-CEO Richard Karlsson kann eine Analyse, die bisher zwei Wochen dauerte, nun in 20 Minuten abgeschlossen werden – oft mit besseren Ergebnissen als bei einer manuellen Auswertung.
Finanzbranche am Wendepunkt
Die Einführung generativer KI verändert die Strukturen an der Wall Street grundlegend. Während einige die Technologie als Gamechanger sehen, der die Karrieren junger Analysten beschleunigen könnte, warnen andere vor einer Erosion des praktischen Wissens. Sicher ist: Die Finanzbranche steht an einem Wendepunkt – und der Einfluss von KI wird weiter wachsen. (mb/Bloomberg)