Ab 10. März sind die Wirtschaftstreibenden wieder aufgerufen, ihre gesetzliche Interessensvertretung zu wählen. Beim letzten Urnengang im Jahr 2020 machte nur rund ein Drittel der Wahlberechtigten mit. Es ist den Wählern nicht zu verdenken, dass sie das undurchsichtige direkt-indirekte Verfahren verdrießt. So ist der Einfluss der eigenen Stimme auf höheren Gremialebenen sehr begrenzt. Andererseits ist die sogenannte Urwahl eine Möglichkeit, den Vertretern in den Fachgruppen direkt den Rücken zu stärken, die mit dem System oft selbst hadern und die im Bereich der Finanzvermittler in vielen Fällen Realpolitik abseits von Parteiideologien betreiben.  


Welche Personen bei den Finanzdienstleistern, den Versicherungsmaklern und den Versicherungsagenten in den neun Bundesländern zur Wahl stehen, sehen Sie unten im Anhang.


Bei den Finanzberatern und -vermittlern werde seit Langem über die politischen Anschauungen hinweg zusammengearbeitet; gemeinsam seien Fortschritte erzielt worden, die im starren Kammersystem nicht selbstverständlich sind, sagt Sascha Dastl, der bei den Finanzdienstleistern und bei den Versicherungsagenten mit der Liste Dastl/Freiheitliche/Unabhängige antritt. In der vergangenen Legislaturperiode hätten seine Fraktion und der schwarze Wirtschaftsbund (WB) etwa eine Senkung der Grundumlage für die Wiener Finanzdienstleister um rund 20 Prozent erwirkt. Hier hakt Dastl erneut ein, indem er auf die milliardenhohen Rücklagen im Kammersystem verweist. Seine Wahlkampfforderung: Ein Automatismus, wonach die Grundumlage für die jeweiligen Mitglieder sinkt, wenn die Rücklagen einer Fachorganisation 80 Prozent des Jahresbudgets überschreiten.

Gold-Plating und schwarze Schafe
Entgegen der Linie der Bundes-FPÖ sei er für die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer, da von einer Interessensvertretung alle Unternehmer profitieren. Zumal auf Europa-Ebene, wo Dastl sich anders als die Bundespartei Pro-EU deklariert. Wenngleich er die von der EU angestoßene Provisionsdebatte ablehnt: Provisions- sowie Honorarberatung sollten nebeneinander existieren. Beseitigt werden müsse indes das auf die EU-Regeln aufgesetzte nationale Gold Plating: Der jährliche Fragebogen zum Geldwäscherisiko sei ebenso zu hinterfragen wie die quartalsjährliche PEP-Abfrage (politisch exponierte Personen), die in keinem EU-Gesetz stehe. Da müssten längere Intervalle reichen.  

Dastl fordert außerdem eine Lösung des behördlichen Ungleichgewichts, das den Betrieben zu schaffen macht: Zum einen würden korrekt arbeitende Vermittler von Marktamt, FMA oder Geldwäschebehörde immer penibler kontrolliert; sie wenden laut WK-Umfrage oft 50 Prozent ihrer Arbeitszeit für Bürokratie auf, um alle Vorschriften zu erfüllen. Gleichzeitig würden jedoch schwarze Schafe über Jahre – trotz laufender Beschwerden – nicht aus dem Verkehr gezogen, weil sich keine der Behörden zuständig fühlt.

Grüne: Provisionsberatung, Bestandsnachfolgeplattform und Einheitslistenkritik
Ähnliche Kritikpunkte stehen in den Wahlprogrammen der anderen Fraktionen. Bei der Grünen Wirtschaft in Wien setzen sich die Finanzdienstleister unter Christian Faulmann "massiv gegen ein generelles Provisionsverbot ein". "Wir unterstützen aber gleichzeitig eine qualitative Beratung auf Honorarbasis", so Faulmann.

Er bringt sich darüber hinaus mit einer konkreten Idee für die Zukunft der Branche ein. Die Kammer müsse aufgrund der Alterung der Finanzvermittler Schritte setzen und solle "die Drehscheibe für Bestandnachfolge werden", sagt Faulmann. Aus seiner Sicht reicht die Nachfolgebörse der WKO nicht aus. Für ihn muss das ganze aktiver angegangen werden. Zum Beispiel in Form von moderierten Veranstaltungen nach dem Motto "Topf sucht Deckel". Es brauche eigene Formate, die den spezifischen Rahmenbedingungen der Finanzbranche gerecht werden (etwa beim Thema Bestandsprovisionen). "Unsere Berufsgruppe muss dieses Thema gezielt angehen, also nicht nur mit einem losen Online-Tool", fordert Faulmann.

Einheitsliste sorgt wieder für Verstimmung
Die Grüne Wirtschaft kandidiert in Wien in den drei Fachgruppen Finanzdienstleister, Versicherungsmakler und -agenten zusammengerechnet mit neun Listenplätzen. Damit muss sie sich gegen eine übergroße Konkurrenz stemmen: Denn Schwarz und Rot, also der Wirtschaftsbund und der Sozialdemokratische Wirtschaftsverband (SWV), haben wie bereits bei der vorigen Wahl in den drei Finanzvermittlersparten Einheitslisten gebildet, auf denen je weit über 20 Nominierte stehen (in allen drei Branchen zusammengerechnet fast 70).

Der WB dominiert zwar die Kammer bundesweit, allerdings nicht so in Wien, hier helfen Einheitslisten nach. "Abermals versucht man durch eine gemeinsame Liste ein Wahlergebnis vorwegzunehmen, was eine Unterminierung einer demokratischen Wahl darstellt", kritisiert der grüne Finanzdienstleister-Listenerste Faulmann. Das sieht man bei der Liste Dastl oder beim unabhängigen Wirtschaftsforum (UWF) unter Rudolf Mittendorfer ähnlich. Moniert wird auch, dass im Einheitslistennamen "Team Wiener Wirtschaft" von außen gar nicht ersichtlich ist, dass es sich um einen schwarz-roten Zusammenschluss handelt. An dieser Schnittstelle sind in der ansonsten betonten Harmonie Misstöne zu hören: Während die Funktionäre der verschiedenen Farben sachpolitisch Hand in Hand arbeiten würden, gehe es wohl auf höherer WB-SWV-Ebene um den Erhalt der Vormacht, heißt es bei den Mitbewerbern.

Wirtschaftsbund und Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband: Professionalisierung und Image
Ein WB-Sprecher sieht das anders. Die gemeinsame Liste habe in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie "solide Interessensvertretung" mache. Genannt werden Professionalisierungsschritte, wie die Einführung eines "Codes of Conduct" für Versicherungsmakler, der Datenschutz-Verhaltensregeln und eine Zertifizierung mittels Audits enthält. Damit wurde klargestellt, dass der Makler keinen Weisungen eines Versicherungsunternehmens unterliegt und er für den Kunden als Verantwortlicher im Sinne der DSGVO agiert, wie es heißt. 

Bei der Einheitsliste WB/SWV ist das Wahlprogramm stark auf Qualitätsstandards in der Finanzbranche fokussiert. So setze man sich bei den Versicherungsagenten dafür ein, dass IDD-Schulungen mit praxisorientierten Weiterbildungen kombiniert werden, wie es in einer Stellungnahme heißt. Eric Samuiloff, Obmann der Wiener Finanzdienstleister, will die Unterstützung der Kammer bei Regulierungsumsetzungen ausbauen und an der Imageverbesserung der Branche arbeiten. Dazu gehöre eine verstärkte Kommunikation mit der Öffentlichkeit, nicht zuletzt über Social-Media-Kanäle, sowie der Ausbau der Onlinewerbekampagne mit der "ihrefinanzdienstleister.wien"-Landing-Page. Die Wahlfreiheit zwischen Provisions- und Honorarberatung gehört ebenso zu den Top-Themen.

NEOS: Steuerfragen, Weiterbildung, Vorsorge
Strikt gegen die Abschaffung von Provisionen sind auch die UNOS (NEOS). Nicht nur wegen befürchteter Versorgungsengpässe bei der Finanzberatung für eine breite Masse. Eine Sprecherin verweist auf die damit zusammenhängende steuerliche Dimension: Honorare für Privatkunden sind im Unterschied zur Provision zusätzlich umsatzsteuerpflichtig. "Es ist auch im Interesse des Staates, angesichts leerer Kassen im Pensions- und Krankensystem, dass Menschen aufgeklärt werden und sich selbst absichern. Dafür brauchen wir qualifizierte Finanzdienstleister, deren Arbeit aber seit 2018 massiv überreguliert ist", so die Sprecherin. Gemeint ist die Einführung der EU-Regeln des Mifid-Rahmens vor rund sieben Jahren. 

Auf dem Wahlprogramm der UNOS steht zudem der Einsatz für Weiterbildungsmöglichkeiten in der Branche. Abseits davon gibt sich der Wirtschaftskammerflügel der NEOS im Wording bemüht, die größeren Visionen in den Vordergrund zu stellen. Offenbar achtet man darauf, ein einheitliches Bild mit den NEOS abzugeben, die seit der letzten Nationalratswahl an ihrem Status als mögliche Regierungspartei arbeiten. So steht auf der UNOS-Wahlkampfliste neben Entlastung, Entbürokratisierung, Vereinbarkeit von Unternehmertum und Familie auch "ein Land, in dem Unternehmertum in Freiheit und mit Freude gelebt werden kann". Und nicht zuletzt: eine serviceorientierte Interessensvertretung für Unternehmer. Soll heißen: ein Aus der Pflichtmitgliedschaft in der WKO.

Fachliste wirft wieder Fragen auf
Keine Rückmeldung zum Wahlprogramm in der Finanzvermittlung gab es von Rudolf Mittendorfers UWF sowie von der in Wien und Salzburg antretenden "Fachliste gewerbliche Wirtschaft" (FdgW). Bei der Fachliste handelt es sich um eine Abspaltung aus dem Freiheitlichen-Umfeld. Allein bei den Finanzdienstleistern in Wien hat die FdgW acht Listenplätze aufgestellt. Wobei das Muster der Vertreter hervorsticht: Die Personen auf der Finanzdienstleister-Liste sind parallel zu Gewerbebereichen wie Schuhreparatur, Schlüsseldienste oder Lebensmittelhandel allesamt in der Geldüberweisung ins Ausland tätig (Zahlungsdienstleister). Im Unterschied zu den anderen Listen findet man keine Hinweise, dass die Nominierten bisher öffentlich für die Kammer in Erscheinung getreten sind.

Karl Ramharter, die zentrale Figur in der FdgW, ist Vizepräsident der Wirtschaftskammer Wien. Was beachtlich sei für eine kleinere Gruppe, heißt es bei der Wahlkonkurrenz, die hier ein Phänomen der Wahlarithmetik und von Koalitionsabsprachen ortet. Im Kammersystem sind zum Beispiel Stimmenzurechnungen anderer Fraktionen möglich – was aber immer wieder für Unmut sorgt (FONDS professionell berichtete). Beim WB weist ein Sprecher Zurechnungen der FdgW an seine Fraktion im Abtausch von Ämtern zurück. Es sei üblich, dass sich alle Parteien nach den Wahlen über eine Zusammenarbeit oder Teil-Kooperationen verständigen, wozu zum Beispiel auch die gegenseitige Unterstützung bei Wahlvorschlägen in verschiedenen Gremien gehöre. 

Die Urwahl
Einen direkten Einfluss hat die eigene Stimme in dem hierarchischen Wirtschaftskammern-Gefüge nur auf die unteren Ebenen: Bei der sogenannten Urwahl werden direkt die Fachgruppenausschüsse auf Bundeslandebene und deren Fachvertreter gewählt. Daraus wird in einem von außen nur schwer nachvollziehbaren System indirekt bestimmt, wer in den übrigen Kollegialorganen sitzt: in den Fachverbandsausschüssen auf Bundesebene, in den übergeordneten sieben Sparten oder in den Präsidien und in den Wirtschaftsparlamenten der Kammern. (eml)