Der österreichische Gesetzgeber gibt seinen lange verteidigten Standpunkt auf, wonach hiesigen Wertpapierfirmen (WPF) nicht viel mehr erlaubt ist als Anlageberatung, Portfolioverwaltung und Auftragsannahme oder -weiterleitung: Der eingeschränkte Tätigkeitenkatalog wird massiv ausgeweitet. Das sieht der seit mehr als einem Jahr überfällige Entwurf zum Wertpapierfirmengesetz (WpFG) vor, der Ende der Vorwoche veröffentlicht wurde. Er soll unter anderem das Wertpapieraufsichtsgesetz (WAG 2018) novellieren. Statt den fünf Tätigkeiten, die das WAG bisher den Wertpapierfirmen erlaubt, werden es künftig bis zu 14 sein.   

In der neuen Regelung wird den WPF das Depotgeschäft genauso erlaubt wie der Eigenhandel oder das Ausführen von Aufträgen für Rechnung von Kunden. Im Zusammenhang mit Wertpapierdienstleistungen können sogar Kredite vergeben werden (genaue Liste siehe unten). Derzeit gilt für österreichische WPF ein absolutes Verbot fremde Gelder entgegenzunehmen oder Wertpapiere und sonstige Instrumente für andere zu halten. Für diese weitreichenden Befugnisse braucht man (anders als Marktteilnehmer anderer EU-Länder) momentan eine Bankkonzession. Wer seine Befugnisse künftig nach den geplanten Vorgaben ausbauen will (etwa Kundengelder halten), kann das tun, indem er jeweils eine Konzession bei der Finanzmarktaufsicht (FMA) beantragt.

Bruch mit jahrzehntelangem Dogma
Der Wiener Rechtsanwalt und Kapitalmarktexperte Martin Pichler (Kanzlei Jarolim Partner) spricht in einem Statement gemeinsam mit Associate Florian Braunauer von einem "erfreulichen Schritt" und einem Paukenschlag im Aufsichtsrecht. Beide betonen den Paradigmenwechsel, der damit einhergeht. Der Ministerialentwurf breche "mit dem jahrzehntelangen regulatorischen Dogma, dass Wertpapierfirmen nie Schuldner ihrer Kunden werden dürfen".

Daraus würden sich völlig neue Möglichkeiten ergeben: "So ist beispielsweise ein europaweites Tätigwerden als klassischer Broker nach anglo-amerikanischer Prägung möglich, ohne, dass hierfür eine Bankenkonzession mit entsprechend hohen regulatorischen Anforderungen insbesondere hinsichtlich der Eigenkapitalausstattung erforderlich ist", erklären Pichler und Braunauer in einer Analyse. 

Erleichterung auf dem Papier
Dass diese Konzessionen nun vom Bankwesengesetz (BWG) mit seinen strengen Liquiditätsregeln ins WAG wandern, wird es den Wertpapierfirmen erleichtern, eine neue Tätigkeit aufzunehmen. Allerdings: Allzu einfach dürfte eine erweiterte Konzession auch künftig nicht zu haben sein. Denn die FMA, die die Erlaubnis im Einzelfall erteilt, ist von der Kompetenzausweitung nur begrenzt begeistert, wie ein Marktteilnehmer der Redaktion bereits in einer früheren Recherche sagte. Wie sich dieser Prozess dann in der Praxis vor der Aufsicht wirklich gestaltet, und ob und wie viele WPF tatsächlich ihren Umfang erweitern, sei noch kaum abzuschätzen, sagte ein maßgeblicher Kapitalmarktexperte, der betonte, man arbeite gerade auf, was der Entwurf im Detail bedeutet. Die Begutachtungsfrist endet mit 29. Juli 2022. 

Änderungen ergeben sich nicht nur für die WPF selbst, sondern auch für die Anlegerentschädigung für Wertpapiere (AeW). Die Novelle schreibt vor, dass bei erweiterter Tätigkeit ein höherer Beitrag eingehoben werden muss. Dazu kommt, dass die WPF im Rahmen der AeW in eine Vertrauensschadenversicherung einzahlen. Auch hier könnten neue Verhandlungen mit Assekuranzen nötig sein. Die AeW ist eine Einrichtung, die EU-konform existieren muss, jedoch in Österreich bisher kaum Beachtung fand, weil eben kein Kundengeld gehalten werden darf. Zum Einsatz kam sie – juristisch umstritten – nur bei den Skandalen AvW und Amis.

AeW verschafft sich Überblick über Details 
Wie genau die Beitragsgestaltung künftig aussehen könnte, scheint noch nicht festzustehen. Johannes Gotsmy, einer der Geschäftsführer der AeW, betonte auf Nachfrage, dass im Entwurf solche konkreten Maßnahmen für die Sicherungseinrichtung nicht herauszulesen seien. Es gelte nun, diese Details unter anderem mit der Aufsicht zu diskutieren. An einer Stellungnahme werde gearbeitet.  

Hintergrund für die österreichische Gesetzesnovelle ist die EU-Richtlinie IFD (Investment Firms Directive) und die dazugehörige Verordnung IFR (Investment Firms Regulation) – beide gemeinsam bilden ein neues EU-weites Aufsichtsregime für Wertpapierfirmen, das seit 26. Juni 2021 in Kraft ist. Die IFR ist (als Verordnung) seitdem direkt anwendbar. Die IFD hätte vor einem Jahr im nationalen Recht umgesetzt sein sollen. Österreich ist bisher säumig. Nun liegt zumindest der Entwurf auf dem Tisch. Bis zuletzt war unklar, ob Österreich seinen WPF wirklich den vollen Tätigkeitenumfang der Mifid II erlauben wird. Spekuliert wird seit längerem darüber (siehe FONDS professionell 3/2021).

Drei-Klassen-System
Die IFD/IFR-Regularien sehen – erleichternd für kleinere Unternehmen – vor, dass Wertpapierfirmen nicht nach den komplexen Bankstandards beaufsichtigt werden. Stattdessen gibt es ein abgestuftes Drei-Klassen-System mit eigens zugeschnittenen Größenmaßstäben. 

In Klasse 1 fallen nach dem Willen der EU alle WPF, die bankähnliche Tätigkeiten ausüben und eine Bilanzsumme von über 30 Milliarden Euro haben. Sie gelten als systemrelevant, werden von der Europäischen Zentralbank (EZB) beaufsichtigt, müssen weiter eine Bankkonzession nach BWG vorweisen und sich an die Kapitalvorgaben der EU-CRR-Verordnung für Banken halten.

Kleinere, aber ebenfalls bankähnliche WPF mit "nur" 15 Milliarden Euro Bilanzsumme rangieren in der Subklasse 1 minus. Wobei die FMA hier bereits WPF ab fünf Milliarden Euro einordnen kann. Diese 1-minus-Institute erhalten zwar künftig eine Konzession nach WAG 2018, müssen aber die CRR-Anforderungen erfüllen, werden von der FMA beaufsichtigt und müssen teils die BWG-Regeln umsetzen. Auf absehbare Zeit gibt es in Österreich keine Klasse-1- oder Klasse-1-minus-WPF.

Nur Klasse-2-WPF fallen voll in die WpFG-Regeln
Klasse-2-Wertpapierfirmen sind jene Kategorie, die eigentlich im Fokus von IFD/IFR und WpFG stehen. Sie definieren sich entweder nach Größe (1,2 Milliarden Euro an verwaltetem Vermögen oder 100 Millionen Euro an täglich bearbeiteten Kundenaufträgen, etc.) oder nach Tätigkeit: Wer etwa Kundengelder hält, wird automatisch zu einer WPF-2-Gesellschaft. Klasse-2-WPF fallen vollständig in die maßgeschneiderten WpFG-Regeln. Soll heißen: Je nach Umfang und Komplexität des Geschäfts gelten bestimmte Berichts- und Liquiditätspflichten. Sie müssen zum Beispiel Eigenmittel entsprechend ihren speziellen Kunden-, Markt- und Firmenrisiken (sogenannte K-Faktoren) vorhalten. 

Verbleiben die kleinen und nicht-verflochtenen Wertpapierfirmen (Klasse 3): Sie dürfen keine Kundengelder halten. Es gelten nur ausgewählte Bestimmungen des WpFG und ein vereinfachtes und verwaltungskostenreduzierendes Aufsichtsregime. Die überwiegende Mehrheit der österreichischen Wertpapierfirmen ist momentan dieser Kategorie zuzuordnen.

Wettbewerbsnachteile werden aufgehoben
Die Ausweitung "beendet den Wettbewerbsnachteil heimischer Wertpapierfirmen gegenüber ihrer Konkurrenz aus anderen EU-Mitgliedsstaaten", erklären die Kapitalmarktexperten Pichler und Braunauer. Heimische Wertpapierfirmen könnten dann mit der entsprechenden Konzession in allen europäischen Mitgliedsstaaten sämtliche Mifid-II-Dienstleistungen anbieten. Die neuen Rahmenbedingungen würden die Attraktivität des Standorts Österreich deutlich steigern. (eml)
 


Momentan gültige Regeln laut WAG 2018 (§ 3 Abs. 2):

Die gewerbliche Erbringung folgender Wertpapierdienstleistungen bedarf einer Konzession der FMA:

1. Die Anlageberatung in Bezug auf Finanzinstrumente;
2. die Portfolioverwaltung durch Verwaltung von Portfolios auf Einzelkundenbasis mit einem Ermessensspielraum im Rahmen einer Vollmacht des Kunden, sofern das Kundenportfolio ein oder mehrere Finanzinstrumente enthält;
3. Annahme und Übermittlung von Aufträgen, sofern diese Tätigkeiten ein oder mehrere Finanzinstrumente zum Gegenstand haben;
4. der Betrieb eines multilateralen Handelssystems (MTF);
5. der Betrieb eines organisierten Handelssystems (OTF).

Nun sollen mit der Novelle folgende Tätigkeiten dazukommen:

6. Ausführung von Aufträgen für Rechnung von Kunden;
7. Handel für eigene Rechnung;
8. Übernahme der Emission von Finanzinstrumenten oder Platzierung von Finanzinstrumenten mit fester Übernahmeverpflichtung;
9. Platzierung von Finanzinstrumenten ohne feste Übernahmeverpflichtung;
10. die Verwahrung und Verwaltung von Finanzinstrumenten für andere (Depotgeschäft);
11. die Gewährung von Krediten oder Darlehen an Anleger für die Durchführung von Geschäften mit Finanzinstrumenten;
12. Devisengeschäfte, wenn diese im Zusammenhang mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen stehen;
13. Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Übernahme von Emissionen für Dritte;
14. Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten gemäß § 1 Z 3 sowie Wertpapiernebendienstleistungen gemäß § 1 Z 4 lit. a bis f betreffend Waren, Klimavariable, Frachtsätze, Inflationsstatistiken und andere offizielle Wirtschaftsstatistiken, sofern diese als Basiswerte der in § 1 Z 7 lit. e bis g und j genannten Derivate verwendet werden und sie mit der Erbringung der Wertpapierdienstleistung, Anlagetätigkeit oder der Wertpapiernebendienstleistung in Zusammenhang stehen.