Mario Draghi, ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), hat Anfang September einen Bericht zur Zukunft des europäischen Kapitalmarktes vorgelegt. Darin schlägt Draghi die Schaffung einer zentralen "Super-Aufsichtsbehörde" vor, die die Zersplitterung der Finanzaufsicht in der Europäischen Union (EU) beenden und den Kapitalmarkt effizienter gestalten soll. 

Dieser Vorstoß sorgt für hitzige Debatten, allerdings nicht hierzulande. Dabei könnte Draghis Vorschlag besonders für Deutschland weitreichende Folgen haben, ist Jochen Kindermann, Partner und Spezialist für Bank- und Kapitalmarktrecht bei der Kanzlei Simmons & Simmons, überzeugt. 

ESMA als zentrale Kontrollinstanz
In seinem Bericht "The Future of European Competitiveness" bezeichnet Draghi die Fragmentierung des europäischen Kapitalmarktes als Schwachstelle. Er fordert den Ausbau der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) zu einer zentralen Kontrollinstanz – ähnlich dem Modell der amerikanischen Securities and Exchange Commission (SEC). "Ein besonderer Aspekt des Draghi-Berichts ist der Plan, die Aufsicht über Investmentfonds mittelfristig bei der ESMA zu konzentrieren", erklärt Kindermann. Dies bedeute letztlich, dass die Kontrolle den zuständigen nationalen Behörden entzogen wird.

Die Idee einer zentralen Aufsichtsbehörde möge auf den ersten Blick effizient erscheinen, die Umsetzung berge jedoch enorme politische und wirtschaftliche Herausforderungen. Während die Debatte in Luxemburg und Irland bereits in vollem Gange ist, scheine Deutschland aber noch am Rande der Diskussion zu stehen. 

Frankfurt könnte an Bedeutung verlieren 
Dabei könnte der Reformvorschlag aus Sicht des Rechtsexperten erhebliche Auswirkungen auf den Finanzstandort Frankfurt haben. "Der Aufbau einer zentralen europäischen Aufsichtsbehörde könnte dazu führen, dass Frankfurt an Bedeutung verliert, besonders wenn zentrale Funktionen wie Clearing und Settlement auf europäischer Ebene gebündelt werden", erklärt Kindermann.

Für die Asset-Management-Industrie und letztlich auch die Anleger könnte eine europäische Aufsicht Chancen bieten. "Durch den Wegfall nationaler regulatorischer Besonderheiten, dem sogenannten 'Gold-Plating', könnten Unternehmen erhebliche Kosteneinsparungen erzielen. Dies könnte auch dazu führen, dass günstigere Finanzprodukte für Verbraucher angeboten werden", erläutert Kindermann.

Doppel-Regulierung vermeiden
Gleichzeitig berge Draghis Ansatz aber auch das Risiko einer doppelten Regulierung durch nationale und europäische Behörden – ein Problem, das bereits in anderen Industrien aufgetreten sei. "Es wäre wichtig, dass mit der Zentralisierung der Aufsicht auch der Abbau nationaler Regeln einhergeht, um unnötige Bürokratie zu vermeiden", konstatiert der Jurist. (am)