Die europäischen Finanzunternehmen mühen sich damit ab, die Nachhaltigkeitsberichtspflichten der EU umzusetzen. Banken, Versicherungen oder Fondsgesellschaften mit mehr als 40 Millionen Euro Umsatz waren bereits seit 2017 verpflichtet, über nichtfinanzielle Aspekte zu informieren. Ab 2022 müssen sie für das Geschäftsjahr 2021 nun vereinfacht über die grundsätzliche Taxonomie-Eignung ihrer Risikopositionen berichten. Und ab 2024 müssen sie als wichtigste Nachhaltigkeitskennziffer (Key Performance Indikator, KPI) ihre Green Asset Ratio (GAR) offenlegen.

Dabei gibt es immer wieder Überraschungen. "Wenn sie das erste Mal die Green Asset Ratio berechnen, sind manche Häuser erstaunt, wie wenig nachhaltig ihr Portfolio ist", sagte Heidrun Kopp vom Institut für nachhaltiges Finanzwesen und Leiterin des Weiterbildungsprogramms Sustainable Finance Management an der FH Wien im Mai bei einer Veranstaltung des Internationalen Forums für Wirtschaftskommunikation (IFWK).

Vorgaben der EU-Taxonomie
Der Grund für den Spalt zwischen selbst wahrgenommener und errechneter Nachhaltigkeit liegt in den spezifischen Vorgaben der EU-Taxonomie. Die Regeln besagen zum Beispiel, dass eine Wirtschaftstätigkeit nur dann nachhaltig ist, wenn sie keinem anderen grünen Ziel zuwider läuft. Ein Windradfinanzierer könnte sich etwa schnell nachhaltig wähnen. Steht das Projekt aber im Naturschutzgebiet, fällt es laut Taxonomie aus der Berechnung heraus, wie Kopp erklärt. 

Natürlich sei der Aufwand bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung hoch. Zugleich sei vorstellbar, dass Banken künftig mit der GAR werben, so Kopp. Umgekehrt müssten sich auch die Unternehmenskunden bewusst sein, dass diese Kennzahl für die Banken immer wichtiger wird. Kunden mit einem sehr grünen Profil seien bei Kreditinstituten gefragt. Für die Unternehmen stelle sich damit immer mehr die Frage "wie bleibe ich finanzierbar und versicherbar", so Kopp.

Kritik an komplexen Regeln
Georg Lemmerer, Senior Director bei der Schelhammer Capital Bank, sieht die Nachhaltigkeitsstrategie der EU mit einiger Skepsis. Im Rahmen der Diskussion übte er Kritik am hohen Aufwand, der durch die Vorgaben erzeugt werde. Die Bank hat über die ehemalige Kirchenbank Schelhammer & Schattera eine lang zurückreichende Erfahrung mit sozial verträglichen Veranlagungen. "Nachhaltigkeit war für uns schon immer ein Beitrag zum Risikomanagement", sagte Lemmerer. Allerdings seien die Pflichten, die die Finanzindustrie und die Wirtschaft heute erfüllen müssen, eine große Herausforderung. Insbesondere im globalen Wettbewerb mit anderen Regionen, mit weniger strengen Auflagen. "Wir müssen uns fragen, ob wir am richtigen Weg sind, wenn die Vorgaben so komplex sind, dass wir einen eigenen Sustainability Officer brauchen", so Lemmerer.

Dazu kämen noch Mehrkosten, weil externe Dienstleister wie Datenanbieter hinzugezogen werden müssen. Er hätte gern eine weniger umfassende Regulierung, auf die sich dafür alle verständigen können, sagte Lemmerer mit Verweis auf die europaweit unterschiedlichen Nachhaltigkeitsvorstellungen.

Kosten nennen
Börsenchef Christoph Boschan, der als Hausherr die Veranstaltung eröffnete, ortete ebenfalls einige zu lösende Probleme. Er nehme mit Verwunderung die Aussagen mancher Finanzanbieter auf, die versprechen, nachhaltige Produkte würden per se bessere Renditen bringen. Solche Pauschalbehauptungen seien schlicht nicht zulässig.

Er verwies auch darauf, dass Anleger unter dem Schlagwort Nachhaltigkeit oft mehr bezahlen müssen, was gerade in renditeschwachen Zeiten zu berücksichtigen sei. Boschan nannte dabei grüne Anleihen, bei denen in der Regel ein Greenium hingenommen wird – ein grüner Renditeabschlag. Bedenken sollten Anleger dies insbesondere bei grünen Staatsanleihen von Ländern mit guter Bonität, für die es in Tiefzinszeiten ohnehin keine oder nur geringe Zinsen gibt. Nachhaltiges Investieren sei erforderlich, aber um fundierte Entscheidungen zu ermöglichen, müsse man die Kosten nennen, mahnte Boschan. Auch die Industrie werde da allein gelassen. "Was kostet die Taxonomie? Niemand kennt die Zahlen", kritisierte er. Diese wären aber ein Anhaltspunkt, die Zweckmäßigkeit diverser Maßnahmen gegeneinander abzuwägen.

Viel Lärm um nichts?
Den Klagen über den hohen Aufwand konnte Katharina Schönauer, Senior Manager Sustainability Services bei KPMG, wenig abgewinnen. Die Situation erinnere sie an die lauten Beschwerden, die es vor 20 Jahren wegen der IFRS-Berichterstattung gegeben habe – heute ein anerkannter Berichtsstandard für große Unternehmen. In ein paar Jahren werde die Nachhaltigkeitsberichterstattung ebenfalls so selbstverständlich sein, sagte Schönauer. (eml)