Vor rund einem dreiviertel Jahr wurden die Bilanzkontroll-Befugnisse der deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) deutlich ausgedehnt. Thorsten Pötzsch, Exekutivdirektor für den Bereich Wertpapieraufsicht der Bafin, zeigte sich vergangenen Freitag bei einem Symposium an der Wirtschaftsuniversität Wien überzeugt von der Wirksamkeit der neuen Regeln. Er verwies auf größere Fälle wie Adler Real Estate oder Eon, bei denen die Bafin Fehler in Unternehmensabschlüssen erkannt und veröffentlicht hat, wobei die Firmen davor jeweils vom Abschlussprüfer ein Testat erhalten hatten, wie Pötzsch betonte. Bei Adler Real Estate waren Assets nach Ansicht der Behörde zu hoch bewertet, Eon hatte fehlerhafte Zeitwerte rund um den Verkauf des Energieunternehmens Uniper angegeben.

Die Bafin darf die Bilanzen der von ihr beaufsichtigten Unternehmen seit Beginn des Jahres komplett selbst prüfen. Das davor bestehende zweistufige Bilanzkontrollverfahren lief Ende 2021 aus. Im alten System war in erster Linie die private Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) für die Bilanzkontrolle zuständig. Die Bafin konnte erst in einem zweiten Schritt eingreifen, wenn die Unternehmen nicht mit der DPR kooperierten beziehungsweise nicht mit dem Prüfergebnis einverstanden waren oder die Bafin selbst Zweifel an der Arbeit der DPR hatte. Diese Vorgehensweise schaffte der Gesetzgeber im Jahr 2021 mit dem Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) ab.

Wirecard als Auslöser
Auslöser für die Reform war das Aufsichtsdesaster beim börsennotierten Finanzdienstleister Wirecard. Der im Juli 2020 öffentlich gewordene Milliardenbetrug war vom deutschen Aufsichtssystem trotz jahrelanger Hinweise nicht zeitgerecht unterbunden worden. Indes hatte die Bafin Journalisten der "Financial Times" angezeigt, während diese an der Aufdeckung des Betrugs arbeiteten. Später musste die Behördenspitze zurücktreten.

Pötzsch betonte, dass Wirecard "diplomatisch ausgedrückt der Worst Case" gewesen sei. Den Vorwurf, dass die Behörde tatenlos gewesen sei, könne man jedoch nicht gelten lassen. Die Bafin habe die DPR 2019 beauftragt, Wirecard zu prüfen. "Wir durften aber aufgrund des Gesetzes die Anleger nicht über unseren Prüfauftrag informieren", sagte Pötzsch. Pressearbeit dazu sei ausgeschlossen gewesen, bis zu dem Zeitpunkt als Wirecard die Mitarbeit an der DPR-Prüfung verweigerte. "Das zweistufige System war ungeeignet, um kriminelle Machenschaften aufzudecken", so Pötzsch. Die Anzeige von Journalisten durch die Bafin klammerte er in seinem Vortrag im Rahmen eines Symposiums über fehlerhafte Unternehmensabschlüsse anlässlich des Wirecard-Skandals ausdrücklich aus. 

Bafin darf Zwischenschritte kommunizieren
Nach der neuen Gesetzeslage können die deutschen Aufseher nun etwa bereits die Anordnung einer Prüfung bekannt machen, wenn es konkrete Hinweise auf Rechtsverstöße gibt, die im öffentlichen Interesse liegen. Die Behörde kann eine Bilanzkorrektur anordnen beziehungsweise darstellen, wie die Bilanz ohne Fehler ausgesehen hätte. Insbesondere aber dürfen die Aufseher zwischendurch über wesentliche Verfahrensschritte oder Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren den Markt informieren. Es sei ein Novum und unüblich im Verwaltungsrecht, dass Mängel bereits vor dem Abschluss der Prüfung in einer Teilfehlerfeststellung kommuniziert werden können, so Pötzsch. Die Bafin habe nun die volle Hoheit über die Bilanzkontrolle.

Übrigens wechselten die meisten DPR-Mitarbeiter zur Bafin. Auf die Anfrage, ob darunter auch jene Personen waren, die Wirecard geprüft hatten, gab es seitens der Bafin keine direkte Antwort. Die Behörde verwies darauf, dass es aufgrund einer gesetzlichen Regelung automatisch zur Übernahme der Mitarbeiter gekommen sei. (eml)