Lage und Aussichten in den USA sind für Investoren gerade schwer zu beurteilen. Die Handels- und Zollpolitik der Trump-Regierung hat die Kurse von US-Aktien Anfang April auf Achterbahnfahrt geschickt. Das massive Vorgehen gegen bestimmte Gruppen von Einwanderern sorgt für Befremden und zudem für Arbeitskräfteprobleme in einigen Branchen. Wirtschaftsprognosen weisen auf weniger Wachstum sowie mehr Inflation hin.

Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass Europa das neue gelobte Land für Aktieninvestoren ist? Wolfgang Fickus, Produktspezialist bei Comgest, zeigt sich hier im Gespräch mit FONDS professionell ONLINE skeptisch. Er erklärt, wie die Fondsgesellschaft bei ihren europäischen Strategien aufgestellt ist.


Herr Fickus, wie stufen Sie das Wachstumspotenzial von europäischen Aktien ein?

Wolfgang Fickus: Der europäische Aktienmarkt hat, wie Japan und die Schwellenländer, ausgeprägte Value-Segmente, die günstig bewertet sind, aber gegenüber den USA wesentlich weniger Wachstumspotenzial aufweisen. Das wird sich auch mit Trump nicht ändern. Ich glaube daher nicht, dass europäische Value-Aktien eine besondere Wachstumsdynamik haben – Sondersituationen wie den Verteidigungssektor einmal außen vorgelassen, der durch das Infragestellen des transatlantischen Bündnisses Aufwind bekommt.

Warum spielt die Musik weiter in den USA?

Fickus: Die ganzen Produktivitätsfortschritte, die auch wir hier in Europa aufgrund der technischen Entwicklung rund um künstliche Intelligenz haben, basieren auf Entwicklungen in den USA. Daher ist deren Wirtschaft viel dynamischer. Das sieht man auch an den Wachstumsraten der Unternehmen, die auch in diesem Jahr besser als in Europa sind.

Es gab aber zuletzt sehr großes Interesse von Anlegern an europäischen Aktien.

Fickus: Investoren interessieren sich in Europa für Value-Aktien von Unternehmen mit einem europazentrierten Geschäftsmodell, die hauptsächlich in ihren Heimatländern unterwegs sind. Das sind bestimmte Finanzunternehmen, Versorger oder auch Telekommunikationsgesellschaften. Ich glaube, auch viele US-Amerikaner, die zwar zum größten Teil immer noch in den USA investiert bleiben, schauen sich diese Unternehmen wegen der ganzen Unsicherheiten, dem Handelskonflikt und dem schwachen US-Dollar an, die auf die Politik der Trump-Regierung zurückzuführen sind. Comgest profitiert davon kaum, wir sind bekanntlich Growth-Investoren und mit unseren Europa-Fonds letztlich in globalen Marktführern aufgestellt. Das sind alles Unternehmen, die zwar in Europa ansässig sind, aber zu den jeweiligen globalen Marktführern gehören. Wir werden nicht in Value-Aktien investieren, nur weil die zurzeit in Mode sind.

Hatten Sie auch Mittelabflüsse?

Fickus: Natürlich, wenn Value-Aktien in Europa einfach einen super Run haben. Wir sind mit unseren Strategien im Vergleich mit den direkten Mitbewerbern immer vorn dabei. Die Leute wollen im Moment aber einfach in Banken oder andere Value-Unternehmen investieren und treiben so die Kurse. 

Welche Bereiche sind denn für Sie unter Growth-Aspekten in Europa interessant?

Fickus: Wir investieren in Unternehmen mit langfristigem Wachstum. Diese Firmen haben einen wirtschaftlichen Burggraben in Bezug auf ihre Marke, ihre Innovationskraft und ihren Kundenstamm, den andere nur sehr schwer überwinden können. Diese wollen wir so lange wie möglich in den Portfolios halten. In einigen Fällen haben wir für mehr als zwei Jahrzehnte gehalten, um vom langfristigen Wachstumspotenzial zu profitieren. Ich bezeichne solche Unternehmen mal als langfristige "Wachstums-Schlachtschiffe", die sehr auf ein Thema oder einen Bereich fokussiert sind. Das sind in Europa über die letzten 20, 25 Jahre die Themen IT, Gesundheit und Konsum gewesen.

Das ist dann aber eine relativ eingeschränkte Branchensicht. In anderen Bereichen sehen Sie in Europa keine Wachstumswerte?

Fickus: Wir haben in unseren Fonds auch relativ viele Industriewerte. Letztlich werden wir in diesen oben genannten Sektoren einfacher fündig, um von sehr langfristigen Wachstumstreibern zu profitieren – wenn der Burggraben vorhanden ist.

Comgest hat eine Reihe an Europa-Fonds: eine Compounder-, eine Large-Cap-, eine Smaller- Companies- und eine Opportunities-Strategie. Wie verteilen Sie die Aktien über diese Portfolios?

Fickus: Im Small-Cap-Fonds sind Aktien von Unternehmen, deren Geschäftsmodelle in einer früheren Wachstumsphase sind, oder interessante Nischenmarktführer. Natürlich versuchen wir auch hier, qualitativ hochwertige Titel zu finden. Idealerweise reifen sie dann über die Jahre oder Jahrzehnte zu Large Caps. Das ist uns zum Beispiel mit der SAP gelungen, die Ende der 1990er Jahre ein Small Cap war. Die Compounder- und die Large-Cap-Strategie setzen auf die beschriebenen Qualitätswachstumsaktien, die in einem fortgeschrittenen Stadium sind, aber immer noch dynamisch wachsen. Die freien Cashflows bei diesen Large Caps sind in der Regel höher als bei den wachstumsintensiveren kleineren und mittleren Gesellschaften. Der Opportunities-Fonds ist von der Marktkapitalisierung her ein All-Cap-Fonds, er hat zudem die höchste Umschlagshäufigkeit, den drehen wir im Schnitt alle drei Jahre. Hier setzen wir auch auf Werte, die noch in einem jüngeren Stadium der Entwicklung sind, wie etwa Spotify. An diese glauben wir langfristig, jedoch sind die wirtschaftlichen Burggräben noch nicht so etabliert. Daher sind sie zum Teil für die anderen Fonds zu risikoreich.

Also haben Sie ein System, dass Aktien von einem Fonds in den anderen wechseln?

Fickus: Die Überschneidungen sind groß. Das ideale Unternehmen würde im Smaller-Companies-Fonds anfangen und läuft langfristig durch bis zum Compounder, sodass wir es letztlich über Jahrzehnte halten würden. Manchmal ist ein Unternehmen aber Marktführer in einer Nische, die gewisse Wachstumslimits setzt. Nehmen wir mal das Beispiel Belimo. Das ist ein Unternehmen, das kleine Komponenten wie Ventile oder Klappschalter für Kühl- und Heizungsanlagen produziert, die extrem wichtig sind, um ein Lüftungssystem energieeffizienter zu machen. Der Markt für diese Produkte ist aber eher eine Nische. Die Belimo wird daher nicht die Marktkapitalisierung einer SAP erreichen, einfach weil der Markt viel zu klein ist. Es bleibt – im Rahmen seiner Nische – aber ein absolut ansprechendes Qualitätswachstumsunternehmen.

Wir danken für das Gespräch. (jb)