Zinssenkung ja, aber... EZB-Rat warnt vor Aktionismus
EZB-Ratsmitglied Madis Müller schließt weitere Zinssenkungen nicht aus – mahnt aber zur Vorsicht. Der aktuelle Leitzins sei bereits niedrig genug, um die Erholung nicht zu bremsen. Eine klare Notwendigkeit für zusätzlichen Stimulus sieht er derzeit nicht.
"Für mich ist der Ausgangspunkt, dass die Zinsen bereits niedrig genug sind, um unsere wirtschaftliche Erholung nicht zu behindern", sagte der estnische Notenbankchef Madis Müller am Montag (19.5.) in einem Interview in Tallinn. Zwar könne eine weitere geldpolitische Lockerung gerechtfertigt sein, doch "es ist für mich nicht offensichtlich, dass wir die Zinssätze deutlich senken sollten".
Abwägung zwischen Wachstumsimpuls und Vorsicht
Die Europäische Zentralbank befinde sich "an einem Gleichgewichtspunkt, an dem es klare Gründe dafür geben muss, deutlich über den derzeitigen Stand hinauszugehen, um die Wirtschaft weiter anzukurbeln – und ich denke, es ist immer noch ein Diskussionspunkt, ob diese Gründe heute ausreichen", so Müller.
Viele Marktbeobachter und Ökonomen erwarten im Juni die achte Zinssenkung in diesem Zyklus, da sich die Inflation der Zielmarke von zwei Prozent annähert. Gleichzeitig wird die wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum durch Verwerfungen in der US-Handelspolitik gebremst.
Divergierende Stimmen im EZB-Rat
Während einige Mitglieder des EZB-Rats eine weitere Zinssenkung bereits öffentlich befürwortet haben, mahnen andere zur Vorsicht und verweisen auf potenzielle Inflationsgefahren in der Zukunft. Isabel Schnabel, Mitglied des EZB-Direktoriums, sprach sich am Samstag (17.5.) für eine "ruhige Hand" aus und betonte, dass die Zinsen in der Nähe ihres derzeitigen Niveaus gehalten werden sollten.
Zollstreit mit den USA belastet Konjunktur
Müller verwies auch auf Risiken im internationalen Handel. Die gegenwärtige Zollpolitik der USA und eine mögliche Gegenreaktion der EU nach Ablauf der 90-tägigen Verhandlungspause könnten das Wachstum im Euroraum weiter dämpfen – und zugleich auch den Preisauftrieb beeinflussen.
Zugleich sieht Müller ein Inflationsrisiko auf der fiskalischen Seite – insbesondere die geplanten Erhöhungen der Verteidigungsausgaben in mehreren europäischen Ländern könnten den Preisdruck künftig verstärken. (mb/Bloomberg)