Wer hat denn nun recht: Eugene Fama oder Richard Thaler?
Die Frage, ob Fama mit seiner Markteffizienzhypothese oder Thaler mit seiner begrenzten Rationalität richtig liegt, beschäftigt immer noch viele Marktteilnehmer. Saul Casadio von der britischen M&G-Gruppe hat sich in einer "nicht-akademischen Sichtweise", wie er es nennt, an einer Antwort versucht.
"Ich habe von 2006 bis 2008 einen MBA an der Chicago Booth absolviert und hatte das Glück, Vorlesungen von drei Professoren zu besuchen, die später den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielten: Eugene Fama (2013), Richard Thaler (2017) und Douglas Diamond (2022)", schreibt Saul Casadio, Director Corporate Credit Research der britischen M&G-Gruppe, in einem Beitrag für den Blog "Bond Vigilantes" der Briten, was sich wohl am ehesten mit "Wächter des Anleihenmarktes" übersetzen lässt.
Interessanterweise hätten Fama und Thaler den Preis beide erhalten, allerdings aufgrund von durchaus gegensätzlichen Theorien. Fama habe den Preis für seine Markteffizienzhypothese erhalten, die besagt, dass Aktienkurse alle verfügbaren Informationen widerspiegeln, sodass es schwierig ist, den Markt dauerhaft zu übertreffen. Thaler sei für seine Arbeit im Bereich der Verhaltensökonomie ausgezeichnet worden, in der er aufzeige, dass die Rationalität von Anlegern begrenzt ist und von psychologischen Faktoren beeinflusst wird.
Märkte funktionieren in der Praxis anders als in Lehrbüchern
"Ich bin Unternehmensanalyst bei M&G und kann nach mehreren Jahren als Marktteilnehmer meine nicht-akademische Perspektive zu dieser Debatte einbringen", fährt Casadio fort und stellt die Frage: Wer hat recht? Fama mit seiner Markteffizienzhypothese oder Thaler mit seiner begrenzten Rationalität? Da Thaler ihm in seinem Kurs lediglich die Note Zwei gegeben habe, neige er dazu, Fama recht zu geben, auch wenn die Märkte in der Praxis etwas anders funktionieren als in den Lehrbüchern, so der Autor.
Zunächst einmal habe er gelernt, dass es nicht nur einen einzigen Markt gibt. "Es gibt verschiedene Märkte, die Informationen unterschiedlich verarbeiten", so Casadio. Der Aktien- und der Kreditmarkt könnten dasselbe Unternehmen betrachten und zu durchaus sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. Während der Aktienmarkt hauptsächlich auf den Gewinn pro Aktie (EPS) fokussiere, konzentriere sich der Kreditmarkt hauptsächlich auf das EBITDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen).
Unterschiedlicher Fokus führt zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen
Und dieser unterschiedliche Fokus könne zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen. Ein Unternehmen mit geringer Verschuldung (auf EBITDA-Basis) könne beispielsweise für den Kreditmarkt gesund aussehen, aber eine sehr geringe Marktkapitalisierung haben, wenn sein EPS niedrig oder negativ ist, was zu einer Diskrepanz zwischen den beiden Märkten führe. Unternehmen mit hoher Kapitalintensität könnten beispielsweise gleichzeitig ein gesundes EBITDA und ein geringes EPS aufweisen.
"Welche Kennzahl ist besser geeignet: EBITDA oder EPS?", bohrt Casadio tiefer und gelangt zu dem Schluss, dass jede Kennzahl gleichzeitig einen Vorteil und einen Nachteil hat. Das EBITDA sei ein Näherungswert für den operativen Cashflow eines Unternehmens, berücksichtige jedoch nicht dessen Kapitalintensität. Der EPS-Wert sei eine nicht kapitalwirksame Kennzahl und daher anfälliger für Bilanzierungspraktiken.
Nicht auf nur eine Kennzahl konzentrieren
"Meiner Meinung nach sollten sich Analysten nicht auf eine Kennzahl konzentrieren", rät Casadio deshalb, "sondern eine Reihe von Kennzahlen auswählen, die einen möglichst umfassenden Einblick in das Unternehmen geben". Sowohl das EBITDA als auch das EPS sowie eine Reihe weiterer Kennzahlen hätten einen Informationswert. "Ich habe meine bevorzugte Kreditkennzahl, aber sie ist nicht standardisiert, und wenn ich näher darauf eingehen würde, würde ich die Hälfte meiner Leser verlieren", gibt sich der Analyst zugeknöpft.
Wenn zwei Märkte zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen über dasselbe Unternehmen kommen würden, so könne man kaum behaupten, dass beide effizient sind. Es sei jedoch fair, davon auszugehen, dass jeder Marktteilnehmer sein Bestes unternehme, um die verfügbaren Informationen unter Berücksichtigung seiner eigenen Einschränkungen in Bezug auf Zeit, Ressourcen und analytische Fähigkeiten zu verarbeiten.
Einschränkungen können zu "irrationalen" Ergebnissen führen
"Wer gewinnt also die Debatte aus der nicht-akademischen Perspektive eines Marktteilnehmers?", fragt Casadio schließlich. Seine Schlussfolgerung lautet: Die Märkte versuchen zwar, so effizient wie möglich zu sein, aber dieser Versuch unterliegt einer Reihe von Einschränkungen. Und es gebe erhebliche Unterschiede zwischen den Märkten hinsichtlich ihrer analytischen Verarbeitungskapazitäten. Solcherlei Einschränkungen könnten zu "irrationalen" Ergebnissen führen, obwohl sie seiner Erfahrung nach eher die Ausnahme als die Regel seien.
Die Größe und Erfahrung des Analystenteams könnte als guter Indikator für die Informationsverarbeitungskapazität eines institutionellen Investors angesehen werden, gibt sich Casadio am Ende fast sybillinisch. Und dieser Faktor weise eine erhebliche Streuung zwischen den Marktteilnehmern auf. Aus diesem Grund würden Anleger eben zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen.
Für jeden Handel braucht es einen Käufer und einen Verkäufer zum gleichen Preis
Letztendlich müsse es für jeden Handel einen Käufer und einen Verkäufer zum gleichen Preis geben. Märkte seien ein kollektiver Versuch, die verfügbaren Informationen unter Berücksichtigung einer Reihe von Einschränkungen, die bei den Marktteilnehmern sehr unterschiedlich ausfallen und zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen können, so gut wie möglich zu verarbeiten. "Sowohl die Theorie von Fama als auch die von Thaler haben ihre Vorzüge und Schwächen und ergänzen sich gegenseitig", schließt der Experte seinen Kommentar und ergänzt: "Ich glaube, dass ich Thaler im Laufe der Zeit dafür vergeben habe, dass er mir eine Zwei gegeben hat." (hh)




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