Zölle produzieren zunächst einmal weder klare Gewinner noch Verlierer im internationalen Handel, erklärt Michael Talbot, Investment-Experte bei M&G Investments. Entscheidend seien die Details.

Dies zeige sich etwa an Brasilien und Vietnam, die auf dem Papier gegensätzliche Extreme darstellten. Brasilien sehe sich mit einem nominell drastischen Zollsatz von 50 Prozent auf Exporte in die USA konfrontiert, Vietnam hingegen "nur" mit 20 Prozent nach Abschluss eines Handelsabkommens. "Wer allein auf die Zahlen blickt, könnte leicht schließen, dass Brasilien härter getroffen wird", so Talbot. "Doch sieht man sich die Details genauer an und denkt darüber nach, warum diese Zölle eingeführt wurden, kommt man zu einem ganz anderen Ergebnis."

Die Wirkung liegt im Detail
Trotz der Zölle von 50 Prozent seien die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Brasilien relativ gering. Tatsächlich sei Brasilien eine der eher abgeschotteten Volkswirtschaften unter den großen Schwellenländern. Zudem seien zentrale Produkte wie Energie, Flugzeuge oder Industriematerialien von den hohen Zöllen ausgenommen. Betroffen seien vor allem Agrargüter wie Kaffee und Rindfleisch, die zwar symbolisch sind, aber nur einen geringen Anteil am gesamten Handelsportfolio Brasiliens ausmachen – für Talbot mehr "politisches Theater als ein echter wirtschaftlicher Gegenwind".

Vietnam dagegen sei wesentlich abhängiger vom US-Markt, der rund 30 Prozent der gesamten Exporte aufnehme, insbesondere Elektronik, Textilien und Möbel. Selbst der auf 20 Prozent gesenkte Zollsatz belaste die Wirtschaft erheblich, verschärft durch zusätzliche Auflagen wie die 40-Prozent-Abgaben auf Waren mit mutmaßlich chinesischem Ursprung. "Für Vietnam ist dies nicht nur eine Schlagzeile, sondern eine strukturelle Herausforderung, die die Wirtschaft belasten wird", so der Experte.

Währungen und Zins-Spreads als Indikator
Die Anfälligkeitslücke werde noch deutlicher, wenn man sich die Handelsbilanzen ansehe. Seit 2018 sei der Überschuss Vietnams gegenüber den USA stark angestiegen, eine direkte Folge der Verlagerung von Lieferketten während des Handelskriegs zwischen den USA und China in den Jahren 2018 und 2019. Brasilien hingegen habe sein stetiges Defizit beibehalten.

Die Märkte spiegelten diesen Unterschied wider: Während der brasilianische Real gegenüber dem Dollar seit Jahresbeginn um etwa 14,5 Prozent zugelegt habe, habe der vietnamesische Dong um rund drei Prozent nachgegeben. Ähnlich ist das Bild bei den Risiko-Spreads am Anleihenmarkt.

Talbots Fazit: "Zölle mögen die Aufmerksamkeit bestimmen, die tatsächlichen wirtschaftlichen Folgen erschließen sich jedoch erst beim Blick hinter die Zahlen." (jh)