Volkswirt: "Dann verschwindet die graue Glocke, die über Europa lag"
Die Wirtschaftsstimmung in Deutschland dürfte sich bald aufhellen, meint Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel. Er sieht Zeichen, dass die Talsohle durchschritten ist. Doch der Aufschwung werde eine Branche nicht erfassen.
Von der Bundestagswahl könnte ein Signal für einen Aufbruch in Deutschland ausgehen, meint Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner & Reuschel im Interview mit FONDS professionell ONLINE. Zudem erläutert er, an welche Grenzen der scheinbar ungehemmte US-Präsident Donald Trump stoßen könnte – und welche Investmentstile und Anlageklassen er derzeit bevorzugt.
Herr Mumm, die Stimmung mit Blick auf die Wirtschaft ist getrübt – insbesondere in Deutschland. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Carsten Mumm: Nach zwei Jahren mit einer negativen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland, was eine außergewöhnliche Konstellation war, ist unser Basisszenario nun leicht positiv. Der private Konsum wird zu einer leichten Konjunkturerholung führen. Es kam zu hohen Lohnsteigerungen bei tendenziell sinkender Inflation. Die Kaufkraft stieg also wieder. Aber auch vonseiten der Industrie gibt es leichte Anzeichen dafür, dass die Talsohle des Zyklus durchschritten ist. Die Auftragseingänge fielen zuletzt etwas besser aus.
Wie sieht es insgesamt für Europa aus?
Mumm: Auch für Europa sollte es 2025 zu einem leichten Aufschwung kommen. Die Ausgangslage war nicht ganz so trüb wie für Deutschland, das industrieabhängiger ist, während in Europa Dienstleistungen eine größere Rolle spielen.
Wir stehen also vor rosigen Zeiten?
Mumm: So einfach wird es leider nicht. Deutschland und Europa haben nicht nur unter einem schwachen Zyklus gelitten. Zwei besondere Faktoren haben noch eine Rolle gespielt. Der erste Punkt: Die Globalisierung verändert sich. Der Protektionismus nimmt zu, Handelskonflikte flammen auf. Und China ist nicht mehr nur die billige Werkbank der Welt. China wird zum Konkurrenten bei Produkten, die klassischerweise aus Industriestaaten kommen wie Anlagen, Maschinen und Fahrzeuge. Daran können wir wenig ändern.
Was ist der zweite Punkt?
Mumm: Das sind die Standortnachteile. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas hat im internationalen Vergleich abgenommen. Diesen Punkt können wir jedoch selbst steuern. Ich blicke da mit hohen Erwartungen auf die Bundestagswahl und eine hoffentlich rasch formierte und handlungsfähige Regierung. Auch europaweit haben wir eine neue EU-Kommission, die Pläne auf dem Schreibtisch liegen hat – die hoffentlich nicht bald in der Schublade verschwinden.
Kann eine neue Regierung wirklich viel verändern – und vor allem schnell genug?
Mumm: Gewisse Felder lassen sich relativ schnell umsetzen wie Steuersenkungen oder Investitionserleichterungen. Ein Abbau der Bürokratie wird dagegen eine gewisse Zeit benötigen. Aber wenn das Thema auf der Agenda der Politik steht und angegangen wird, dann kann das die depressive Stimmung, die seit Monaten auf dem Land lastet, deutlich aufhellen.
Ein Stimmungsumschwung also, aus dem ein Aufschwung entsteht.
Mumm: Wir haben die Volkswirtschaft über Jahre auf Verschleiß gefahren. Es besteht in vielerlei Hinsicht Investitionsbedarf. Nach der Corona-Pandemie waren die Unternehmen dank des Nachholeffekts voll ausgelastet. Das Abarbeiten der Aufträge hat die Industrie lange getragen. Nun haben aber gut die Hälfte aller Firmen zu wenig Aufträge. Da kann es ein Signal sein, wenn die Regierung Geld in die Hand nimmt, um die Infrastruktur zu ertüchtigen. Das eröffnet eine Perspektive auf Planungssicherheit, mit der die Unternehmen kalkulieren können – und kann einen positiven Impuls setzen.
Nährt noch etwas Ihren positiven Ausblick?
Mumm: Bislang hatte ich mich bei Prognosen zum Ukraine-Krieg herausgehalten. Doch nun muss man die Wahrscheinlichkeit, dass der Krieg endet, etwas höher gewichten. Da spielt Donald Trump eine wichtige Rolle. Sollte es tatsächlich zu einem für die Ukraine akzeptablen Ausgang kommen, dann verschwindet die große graue Glocke, die drei Jahre lang über Europa lastete. Der Konsum wird angeschoben, Investitionen laufen besser. Und dann wäre da noch der Wiederaufbau in der Ukraine, von dem europäische Unternehmen profitieren sollten.
Andererseits droht Trumps Politik, die Wirtschaftsentwicklung zu belasten.
Mumm: Wenn Trumps Wirtschafts- oder Migrationspolitik dazu führt, dass die Inflation in den USA deutlich ansteigt, dann kann das ein Korrekturfaktor sein. Denn er hat den Wählern den Kampf gegen die Inflation versprochen. Und wenn seine Politik zu einem deutlichen Dämpfer der Wirtschaft führt, schadet das auch seinen Freunden, den Tech-Milliardären. Er muss aufpassen, dass sich all das nicht gegen ihn wendet. Daher wird er opportunistisch vorgehen und seine Politik ändern. Das ist jedenfalls mein Ansatz, bei seiner erratischen Politik einen roten Faden zu deuten.
Sie erwähnten Faktoren, die sich nicht verändern lassen wie die Rückkehr des Protektionismus und der Aufstieg Chinas. Inwiefern können diese Punkte das Bild noch trüben?
Mumm: Bei diesen Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft muss ich differenzieren. Klassisch-zyklische Wirtschaftszweige wie der Anlagen- und Maschinenbau oder die Bauindustrie werden profitieren, wenn die Konjunktur anzieht. Das wird den Autobauern aber nicht helfen. Diese Branche steckt in einer Strukturkrise und muss eine Transformation verarbeiten. Gesellschaftliche Werte und damit die Nachfrage haben sich völlig verändert. Zudem drängt die chinesische Konkurrenz auf die Weltmärkte. Die Autoindustrie wird für Deutschland nicht mehr die Bedeutung haben wie in der Vergangenheit. Hier werden dauerhaft Arbeitsplätze wegfallen.
Was wiederum den Binnenkonsum belasten kann.
Mumm: Wir werden in Deutschland keine neue Massenarbeitslosigkeit erleben wie Anfang der 2000er Jahre. Wir befinden uns in einer Konstellation, in der aufgrund des demografischen Wandels Arbeitskraft tendenziell knapp ist. Arbeitskraft, die in der Automobilindustrie freigesetzt wird, werden wir durchaus produktiv in anderen Bereichen einsetzen können. Das wird aber gewiss nicht von heute auf morgen gelingen und erfordert eine große Veränderungsbereitschaft.
Was bedeutet dieses Konjunkturbild für die Finanzmärkte?
Mumm: Die Aktienindizes sind in den vergangenen Jahren von wenigen Titeln getrieben worden. Nun stehen jedoch komplexe, herausfordernde Zeiten an. Die Transformation, die daraus folgt, werden manche Unternehmen sehr gut meistern. Doch andere werden nicht innovativ und schnell genug sein. Sie wählen an einer Weiche den falschen Weg und landen auf dem Abstellgleis. Anleger werden daher genau prüfen müssen, welche Unternehmen Chancen aus den Veränderungen ziehen können – und welche nicht mithalten können.
Welche Folgen hat das für die Geldanlage?
Mumm: In den vergangenen Jahren haben gleichgewichtete Indizes aufgrund des Übergewichts einzelner Titel nicht funktioniert. Doch wenn ich heute einen kapitalgewichteten Index kaufe, dann hole ich mir ein Klumpenrisiko mit teuren Aktien ins Portfolio. Gewiss machen große Unternehmen ein gutes Geschäft. Doch die Frage ist, wie lange sie das Umsatz- und Gewinnwachstum so hochhalten können. Da reicht schon ein kleiner Rücksetzer bei der Dynamik, um Rücksetzer auszulösen. Daher entfalten gleichgewichtete Indizes meiner Meinung nach nun ihren Charme.
Die Ära der "glorreichen Sieben" endet also?
Mumm: In der Geschichte gab es immer Phasen, in denen bestimmte Branchen ein großes Gewicht einnahmen. Bis 2007 waren das Banken und Finanzdienstleister, davor waren es die Ölmultis. Je länger ein Trend anhält, desto höher steigt die Wahrscheinlichkeit auf eine Korrektur. Vielleicht läutete der Rückschlag Anfang des Jahres das Ende dieser Ära ein. Mit dem Blick nach vorne gerichtet ergibt es daher Sinn, auch über aktives Management unterwegs zu sein und die künftigen Nokias oder Kodaks der Welt zu meiden.
Abseits von Aktien – was kommt bei Ihnen noch in die Portfolios?
Mumm: Wir stellen die Portfolios breiter auf und nehmen Anlageklassen mit einer niedrigen Korrelation zu anderen auf. Da wären Private Equity und Private Debt oder auch Infrastruktur zu nennen. Daneben ergeben aus strategischer Sicht Rohstoffe einen Sinn. Wobei wir einen Schwerpunkt auf Edelmetalle setzen. Vorsichtiger sind wir derzeit bei Energieträgern und Industriemetallen wie Kupfer, die zwar wichtig für die Energiewende sind, bei denen ich aber kurzfristig keine größeren Sprünge erwarte. Daneben können Krypto-Assets eine Beimischung sein.
Haben Kryptowährungen tatsächlich einen Wert?
Mumm: Wir führen dies noch nicht als feststehenden Baustein in der Vermögensverwaltung. Perspektivisch könnten Kryptowerte aber zu einem Standardanlagebaustein werden. Immer mehr Menschen sehen Bitcoin als Wertspeicher an. Das mag man für vernünftig halten oder auch nicht. Aber man muss anerkennen, dass dadurch die Nachfrage bei begrenztem Angebot immer weiter steigt.
Welche Rolle weisen Sie festverzinslichen Wertpapieren zu?
Mumm: Bei Anleihen sind wir eher defensiv positioniert. Viele unserer Kunden sind sehr sicherheitsorientiert. Daher setzen wir auf sehr gute Bonitäten und bei der Duration sind wir eher auf den kürzeren Bereich ausgerichtet. Die Risikoprämien bei Unternehmensanleihen sind deutlich gesunken. In einem Umfeld mit potenziell steigenden Insolvenzen gehen wir Risiken vorzugsweise auf der Aktienseite ein und setzen bei Anleihen auf Sicherheit.
Vielen Dank für das Gespräch. (ert)