"Politik macht Finanzmärkte in mancher Hinsicht unberechenbar"
Vontobel-Chefvolkswirt Reto Cueni erklärt im Gespräch mit FONDS professionell ONLINE, wo er gerade Chancen an den Finanzmärkten sieht, an welche Grenzen Donald Trumps Wirtschaftspolitik stoßen könnte und warum es immer schwieriger wird, verlässliche Prognosen zu erstellen.
Das Stimmungshoch an der US-Börse dürfte nicht ewig anhalten, warnt Reto Cueni. Der Chefökonom beim Schweizer Vermögensverwalter Vontobel setzt zwar vorerst auch auf US-Aktien, doch Preisdruck und steigende Zinsen könnten die Euphorie mittelfristig dämpfen. Im Interview mit FONDS professionell ONLINE erklärt Cueni, warum es auf das Timing der Wirtschaftsmaßnahmen ankommt und wieso politische Faktoren zuverlässige Prognosen immer schwerer machen.
Herr Cueni, Deutschland rutscht in Standortrankings immer weiter ab, die Wirtschaft schrumpft, und die Regierung ist kollabiert. Wie dramatisch sehen Sie als Schweizer die Lage in Ihrem Nachbarland?
Reto Cueni: Ich glaube, dass vieles in Deutschland besser ist, als es die Deutschen selbst empfinden. Gerade in der Wirtschaft sind deutsche Unternehmen und ganz besonders die kleinen und mittelgroßen Firmen oft Weltspitze. Aber natürlich bremst die Bürokratie. Und dass die Regierung gerade in einer so herausfordernden Zeit auseinanderbricht, ist besonders unglücklich.
Ein großer politischer Streitpunkt war in der Ampelkoalition die Schuldenbremse. Was ist Ihre Meinung dazu?
Cueni: Die Wirtschaftspolitik braucht eine gewisse Flexibilität, um in einem Abschwung antizyklisch handeln zu können. Grundsätzlich finde ich aber eine Schuldenbremse sinnvoll, und wir haben ja auch in der Schweiz einen solchen Mechanismus. Das Problem ist: Wenn man so eine Regel erst einmal aufweicht, finden sich immer neue Gründe, um noch mehr Schulden zu machen.
Was bringt es überhaupt, zu sparen, während andere Länder wie die USA und China ohne Rücksicht auf den Schuldenstand massiv in Zukunftstechnologien investieren?
Cueni: Der Staatsanteil an der Wirtschaftsleistung ist ja durchaus hoch in Deutschland. Bevor man mehr Schulden aufnimmt, sollte man sich vielleicht erst einmal fragen, ob man das Geld wirklich da ausgibt, wo es am meisten Nutzen bringt.
In den USA hat die Börse euphorisch auf die Wahl von Donald Trump reagiert, und aktuelle Umfragen zeigen, dass internationale Investoren bei US-Aktien das größte Potenzial sehen. Sie auch?
Cueni: Der Beifall der Börse für Donald Trump ist verständlich angesichts der angekündigten Steuersenkungen. Von allen angekündigten Maßnahmen lassen sich die Steuersenkungen und die Deregulierung am schnellsten durchdrücken. Die Börse schaut erst mal auf die kurze Sicht, und da sind Steuersenkungen und Deregulierung positiv für die Konjunktur.
Und langfristig?
Cueni: Wenn die weiteren Maßnahmen wie Zölle und womöglich Abschiebungen von illegalen Einwanderern anlaufen, könnte das anders aussehen. Der Arbeitsmarkt ist ohnehin schon heiß gelaufen; wenn nun noch das Arbeitsangebot durch die strengere Immigration tendenziell sinkt, dürfte das die Inflation über die höheren Löhne antreiben. Auch die Zölle sorgen für höhere Preise. Bei Beginn von Trumps erster Amtszeit 2017 gab es keine Inflation, das ist jetzt ganz anders. Wenn die Regierung beim Timing erst nur auf stimulierende Maßnahmen setzt, dann könnte die Wirtschaft direkt durchstarten und es kann über die Inflation zu einem Riesenproblem mit der Zentralbank kommen. Die ist eigentlich im Zinssenkungszyklus und müsste diesen dann eventuell früher abbrechen. Das könnte sehr viel abwürgen von dem, was Trump vorhat und wozu die Märkte gerade applaudieren.
Trump möchte ja auch mit Hilfe von Elon Musk Bürokratie abbauen und auch die Ausgaben kürzen. Was erwarten Sie da?
Cueni: Ich sehe die Ausgabenkürzungen noch nicht als gesetzt an. Die Republikaner waren seit Ronald Reagan vor bald 50 Jahren immer diejenigen, die das Staatsdefizit besonders stark ausgeweitet haben. Dass die Republikaner für einen Sparkurs stehen, ist historisch gesehen eine Legende.
Das hohe Staatsdefizit scheint bislang weder Regierung noch Märkte nervös zu machen.
Cueni: Je länger die Zinsen hoch bleiben, umso weiter steigen die Ausgaben allein schon für die Zinszahlungen. Der laufende Schuldendienst könnte in Zukunft zu den zwei höchsten Posten im US-Budget aufschließen und ist aktuell wohl höher als die Verteidigungsausgaben. Und da kommen wir auf Deutschland zurück. Niedrige Schulden sind nämlich gut, weil man dann Spielraum für die Zukunft hat. Die USA werden da früher oder später an Grenzen stoßen.
Wie haben Sie Ihre Portfolios aufgestellt?
Cueni: Wir sind in US-Aktien gerade wieder von neutral auf übergewichtet gegangen. Der positive Impuls der Steuersenkungen könnte sich noch einige Zeit fortsetzen, bevor die genannten Probleme auftreten. Auf der Anleihenseite sieht man dagegen bereits, dass das Wachstum nicht vom Himmel fällt, beziehungsweise die Angst vor Inflation und mehr Budgetdefizit da ist. Die Kapitalmarktzinsen sind bereits gestiegen – wie auch die Inflationserwartungen.
Wie positionieren Sie sich bei Anleihen?
Cueni: Wir bleiben insgesamt neutral, da wir im Moment nicht abschätzen können, was alles an Maßnahmen kommt. Konkret bei US-Staatsanleihen haben wir aber das Risiko zurückgeschraubt. Bei den Euro-Anleihen könnten sich neue Möglichkeiten auftun, doch ist auch hier der Effekt der hausgemachten Probleme in Frankreich und Deutschland, aber auch die Einwirkungen der kommenden US-Regierung ein Risiko. Aktuell sind wir auch hier noch zurückhaltend.
Was bedeutet Trumps Politik für die Schwellenländer?
Cueni: Wenn die Dollar-Zinsen steigen, dann können die Zentralbanken der Schwellenländer ihren derzeitigen Zinssenkungszyklus nicht wie geplant fortsetzen. Das heißt, dass die Luft für steigende Anleihenkurse dünner wird, und auch für die Aktien aus Schwellenländern ist das kein optimales Umfeld. Dann kommt es viel stärker auf die richtige Auswahl an. Mit der Politik kommt noch eine zusätzliche Analyseschicht dazu – welche Branchen und Länder leiden oder profitieren von handelspolitischen Entscheidungen und geopolitischen Veränderungen? Darauf müssen sich die Investoren einstellen, und aktives Rosinenpicken dürfte hier eine gute Strategie sein.
Wie bezieht man diese Faktoren in die Analyse ein?
Cueni: Das ist oft schwierig, da verschiedene Politikmaßnahmen einander verstärken oder neutralisieren können. Als Ökonom beschäftigt man sich üblicherweise vor allem mit den Marktkräften. Aber wenn Zölle und Multipolarität ins Spiel kommen, wird das natürlich komplex. In Trumps erster Amtszeit war etwa Mexiko noch ein Profiteur, da viele Produzenten von China nach Mexiko gingen. Das heißt aber nicht, dass das diesmal wieder so sein wird. Die Politik macht Finanzmärkte in vielerlei Hinsicht unberechenbarer.
Vielen Dank für das Gespräch. (jh)