Gottfried Haber, Vize-Gouverneur der Österreichischen Nationalbank (OeNB), zeigt sich überrascht angesichts der Erwartungen an den Märkten über das Zinsniveau. An den Terminmärkten wird derzeit ein Stagnieren der Zinsen eingepreist beziehungsweise sogar ein Absinken gegen Ende des Jahres. "Da wundere ich mich", sagte Haber am Eröffnungspodium des diesjährigen Finanzplanerforums in Wien. Er verwies dabei auf die weiter hohe Teuerung. "In Inflationszeiten sollte man sich nicht von steigenden Zinssätzen überraschen lassen", so Haber.

Kopfzerbrechen bereitet den Notenbankern in der Eurozone zur Zeit nicht nur die Inflation, sondern auch eine negative Grundstimmung, die sich durch den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) in den USA und durch die Rettung der Schweizer Credit Suisse verstärkt hat. "Wir haben inhaltlich in Europa kein Problem mit der Finanzmarktstabilität, aber das Mindset der Märkte hat sich in einer für uns überraschenden Weise verändert", so Haber. Die Märkte hätten, besonders in den USA, begonnen, zu hinterfragen, ob bei einer Bank die Liquidität im Ernstfall reicht. "Wenn binnen Stunden zweistellige Milliardenbeträge abgezogen werden, dann bekommt jede Bank ein Problem", meinte Haber mit Blick auf die SVB-Pleite, der ein Bank-Run vorausgegangen war.

Liquidität besser kontrollieren
Aus Sicht der Experten könnten die Vorgänge für strengere Regulierungen sorgen. Benjamin Weigert, Leiter des Bereichs Finanzstabilität bei der Deutschen Bundesbank, strich die sehr geringen Liquiditätspuffer der SVB hervor. Deren Kunden hatten hohe Beträge weit über der Einlagensicherung hinaus auf der Bank liegen – Geld, das die Besitzer bei den ersten Anzeichen von Unsicherheit zurückhaben wollten. Das Institut hingegen hatte die Einlagen mangels Anlagealternativen in hohem Ausmaß in längerlaufende Instrumente investiert. "Die Bank hat innerhalb kurzer Zeit ihre Bilanzsumme vervierfacht, aber die rasch veräußerbaren Wertpapiere sind nicht im gleichen Ausmaß mitgewachsen. Hier zeigt sich schon, dass man überlegen könnte, ob Zinsänderungsrisiken nicht doch Säule 1 sein sollten", so Weigert. In der "Säule 1" des Basel-Rahmenwerks sind Mindestkapitalanforderungen für Banken definiert.

Der Vertrauensverlust macht auch der österreichischen Finanzmarktaufsicht (FMA) Sorgen. "Der Markt scheint das schwächste Glied in der Kette zu suchen und herauszufordern", sagte FMA-Vorstand Eduard Müller. Es gebe kein Kapitalthema, sondern ein Liquiditätsthema. "Ein Liquiditätsrisiko wird nur schlagend, wenn das Vertrauen nicht da ist, und das Vertrauen fehlt, wenn die Regulierung nicht wirksam ist. Es muss daher auch möglich sein, Banken vom Markt zu nehmen", so Müller.

Vernetzungen am österreichischen Bankenmarkt
Er verwies auf die Dominanz der Banken am österreichischen Finanzmarkt, die mit einer Bilanzsumme von rund tausend Milliarden Euro alle anderen Finanzdienstleister um ein Vielfaches übertreffen – etwa die Wiener Börse mit um die 115 Milliarden Euro oder die Versicherungen mit über 100 Milliarden Euro. Österreichs Banken seien gut kapitalisiert, die Liquiditätsdeckungsquote (LCR, Überbrückung eines Liquiditätsstressszenarios für 30 Tage) sei zwar zuletzt etwas gesunken, aber weit über den geforderten 100 Prozent. Die Aufsicht achte auf die starken Vernetzungen der Finanzmarktsektoren, die für eine Ansteckung der Kreditinstitute sorgen könnten.

Beachtung kommt aufgrund der Größe der Fondsbranche zu, deren Rekordvolumina von rund 230 Milliarden Euro an verwalteten Vermögen im Jahr 2021 auf 200 Milliarden im schwierigen Jahr 2022 gesunken sind. Dieser Rückgang sei nicht nur auf Wertverluste zurückzuführen; erstmals (abseits einer kurzen Phase durch Covid) habe es auch Nettomittelabflüsse gegeben, so Müller. Besonders habe man angesichts des vorherrschenden Liquiditätsthemas die Immobilieninvestmentfonds im Blick, wo es in Österreich – anders als in anderen Ländern – noch keine durchgehende Mindesthaltedauer gibt (diese gelten für alle Anteilsinhaber erst ab 2027). Hier droht die Gefahr, dass viele Anleger gleichzeitig ihr Geld abziehen.

Franz Rudorfer, Geschäftsführer der Bundessparte Bank und Versicherungen in der Wirtschaftskammer, hofft, dass in der EU angesichts der Bankenprobleme in der Schweiz und den USA "nicht die falschen Schlüsse" gezogen werden und warnte vor einer Überregulierung. Auch seine Sparte geht jedoch davon aus, dass die Ereignisse nicht ohne Folgen bleiben werden. "Es war gruselig, wie schnell große Mengen an Geld abgezogen wurden. Notenbanker in Europa schauen sich das gerade genau an", so Rudorfer. (eml)