Martin Kocher: "Den Verteilungskonflikt kann man nicht wegreden"
Das 38 Milliarden Euro schwere Corona-Paket der Regierung war gut, aber man darf den Ausstieg aus den Hilfen nicht verpassen, sagt Martin Kocher, Chef des IHS und Vorsitzender des Fiskalrates im Interview mit FONDS professionell.
Im März und April 2020 brach die österreichische Wirtschaftsleistung in manchen Wochen um über ein Viertel ein. Diese Akutphase ist überwunden. Doch während die Politik mit der Krisenbewältigung beschäftigt ist, rücken wichtige strategische Ziele aus dem Fokus, warnt Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS) und seit Juni dieses Jahres zusätzlich Präsident des Fiskalrates, der die Einhaltung der EU-Haushaltsregeln in Österreich überwacht. Ein Interview mit Kocher ist in der aktuellen Ausgabe 3/2020 von FONDS professionell erschienen.
Teilweise seien zwar wichtige Vorhaben umgesetzt worden, die für die langfristige Positionierung entscheidend sind – etwa die Corona-Investitionsprämie, die umweltorientierte Investitionen fördert. "Das wird nicht reichen, aber helfen. Es gibt aber andere Bereiche, die völlig aus dem Fokus verschwunden sind. Etwa die steigenden Kosten durch die Demografie: Pflege, Gesundheit, Pensionen. Das wird uns auch wieder beschäftigen müssen. Je länger man wartet, desto größer müssen die Maßnahmen und Einschränkungen sein. Politisch wird es dann schwieriger", so Kocher.
Auch über Maßnahmen am Arbeitsmarkt nachdenken
Das 38 Milliarden-Euro-Hilfspaket habe trotz einiger Abwicklungsschwierigkeiten das erste Ziel, Unternehmensinsolvenzen zu vermeiden, erreicht. Die Insolvenzrate liegt sogar unter dem Vorjahreswert. Allerdings müsse die Regierung parallel zu den Geldleistungen auch über Maßnahmen am Arbeitsmarkt nachdenken. "Der entscheidende Punkt ist: Verbinde ich das mit strukturverändernden Instrumenten, mit teils verpflichtender Weiterbildung, Umschulung, Qualifikation? Wenn das nicht passiert, dann vergrößert man möglicherweise sogar das Problem, weil gewisse Fähigkeiten später eben nicht mehr nachgefragt werden", sagt Kocher. Auch könne ein zu langer Einsatz der staatlichen Stützungsmaßnahmen notwendige Strukturveränderungen verschleppen.
Der Arbeitsmarkt werde das Land neben den Unternehmensinsolvenzen in den kommenden Jahren am meisten beschäftigen. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsmarktstiftungen, Lehrlingsstiftungen und zusätzliche spezifische Instrumente für jüngere und ältere Arbeitnehmer seien unabdingbar.
Diskussionen über die Ressourcenverteilung nimmt zu
Auch dürften angesichts der Krise die Diskussionen über die Ressourcenverteilung zunehmen. "2022 sollte die Republik wieder einen nachhaltigen Haushalt vorlegen", sagt Kocher. Das zu erreichen, wird nicht leicht: Gewöhnungseffekte bei den Unternehmern an Unterstützungen seien nicht so einfach zu durchbrechen. Dazu kommen Restkosten aus Covid, Investitionserfordernisse in Klimaschutz und Digitalisierung und die demografische Problematik. "Es wird zu Verteilungskonflikten kommen, die nicht leicht zu lösen sind“, so Kocher. Durch die Corona-Krise würde sich außerdem der Verteilungskonflikt zwischen Alt und Jung manifestieren. (eml)
Das gesamte Interview lesen Sie in der aktuellen Heftausgabe von FONDS professionell. Darin spricht Kocher über die Hacklerregelung und langfristige Strukturveränderungen, die durch Corona beschleunigt werden.