Hans-Werner Sinn: "Die USA kommen einer Insolvenz gefährlich nahe"
Der frühere Ifo-Chef Hans-Werner Sinn warnt vor den Folgen der US-Zollpolitik. Die Vereinigten Staaten steuern laut dem Topökonomen auf eine Schuldenkrise zu. Europa müsse mit politischer und militärischer Einheit reagieren – sonst bleibe es Spielball der Großmächte.
Im Rahmen eines Vortrags am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik der Universität Luzern analysierte der deutsche Topökonom Hans-Werner Sinn die US-Zollpolitik – und kam dabei zu einem überraschenden Schluss, berichtet das eidgenössische Online-Nachrichtenportal "Finews". Die USA könnten sich hohe Zölle wirtschaftlich gar nicht leisten, erklärte Sinn. Die US-Wirtschaft sei bereits auf Talfahrt, wie aktuelle Prognosen zeigten.
"Trump denkt und handelt wie ein Lobbyist"
Aus ökonomischer Sicht seien Zölle laut Sinn nicht nachvollziehbar. "Von einem Zollkrieg profitiert niemand. Handel bedeutet Austausch: Der eine liefert, der andere bezahlt. Trump denkt und handelt wie ein Lobbyist", kritisierte der ehemalige Ifo-Präsident. Wer internationale Konkurrenz ausschließe, gefährde die eigene Wohlfahrt, so seine Analyse.
Immer deutlicher werde zudem, dass die USA trotz der Rolle des Dollar als Weltleitwährung Schwierigkeiten hätten, ihre Ausgaben zu finanzieren. "Die USA kommen einem Default, einer Insolvenz, gefährlich nahe. Dieses Thema ist jetzt auf dem Tisch, und nicht in erster Linie die Zölle", stellte Sinn klar.
Die US-Zölle seien laut seiner Einschätzung ein strategischer Vorstoß, um einen teilweisen Schuldenschnitt vorzubereiten – explizit oder implizit.
Vertrauensverlust an den Finanzmärkten
Sinn sieht auch einen zunehmenden Vertrauensverlust der Finanzmärkte gegenüber der US-Administration. Bereits die öffentliche Demütigung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe ein Signal gesetzt, der sogenannte "Liberation Day" habe dies bestätigt. Kapitalflucht sei inzwischen spürbar – selbst bei US-Investoren.
Die Theorie, dass es Washington von Anfang an um eine gezielte Dollar-Abwertung gegangen sei, hält Sinn für nachträgliche Schönfärberei: "Dies wird jetzt nachträglich als Rechtfertigung ins Spiel gebracht wegen des Chaos, das die Administration angerichtet hat", sagte er.
"Es ist schwierig, so viel Geld sinnvoll auszugeben"
Im Hinblick auf Deutschlands geplante Investitionen von rund 1.000 Milliarden Euro für Verteidigung und Infrastruktur verwies Sinn auf die Aushebelung der Schuldenbremse. "Es ist schwierig, so viel Geld sinnvoll auszugeben", sagte er. Dennoch könne sich diese Entwicklung im Zollkonflikt als vorteilhaft erweisen.
Deutschland könne sich verschulden und Brücken auf Pump bauen, statt etwa zuzusehen, wie sich die Automobilproduktion Richtung USA verabschiede, betonte Sinn – und räumte ein, dass er selbst vor Kurzem noch nicht so argumentiert hätte.
"Es ist Zeit für die Vereinigten Staaten von Europa"
Sinn kritisierte zudem, dass Europa in geopolitischen Schlüsselthemen wie dem Ukraine-Krieg oder dem Zollkonflikt kaum mitreden dürfe. "Russland und die USA spielen Pingpong mit Europa", sagte er.
Seine Lösung: Eine politische und militärische Union Europas. "Es ist Zeit für die Vereinigten Staaten von Europa", forderte Sinn. "Die Nachteile eines solchen Schrittes sind mir bekannt. Aber wir haben keine andere Wahl", unterstrich er. (mb)