Wifo-Direktor Gabriel Felbermayr verordnete der versammelten Finanzbranche am 26. FONDS professionell KONGRESS in Wien ein "Rendezvous mit der Realität", wie er zum Auftakt der Veranstaltung sagte. "Die österreichische Konjunktur ist seit zweieinhalb Jahren im Rückwärtsgang unterwegs. Aus Corona sind wir in Europa als einer der Klassenbesten rausgekommen, aber seit dem Gipfelsieg geht es nach unten", so Felbermayr. In kaum einem Land gebe es so viel Pessimismus bezüglich der Wettbewerbsfähigkeit wie in Österreich.

Ein wesentlicher Grund für die sinkende Wettbewerbsfähigkeit: Obwohl die Wirtschaft in Österreich geschrumpft ist, kam es zu hohen Lohnabschlüssen. Das vor allem, weil bei den Lohnverhandlungen in Österreich traditionell im Rahmen der sogenannten Benya-Formel der Inflationsausgleich eine große Rolle spielt. "Wenn sich an der Benya-Formel nichts ändert, sinkt die Wettbewerbsfähigkeit weiter", so Felbermayr.

Produktionsmix unvorteilhaft
Ein gewisses "Pech" mit den in Österreich starken Industriesparten spiele zudem eine Rolle. Das Land sei in Sparten wie der Automotivzulieferung groß, wo entweder die Chinesen kräftig aufgeholt haben oder die stark von Zöllen betroffen sind. Dass der neue US-Präsident Donald Trump Produktionsstandorte aus der EU in die USA verlagert sehen will, hellt die Prognose für Österreich ebenfalls nicht auf.  

Sehr wichtig sei es, sich um die darniederliegende Investitionstätigkeit zu kümmern. Darin liege ein Auftrag für die Wirtschaftspolitik der neuen österreichischen Bundesregierung. Heute werde um 30 Prozent weniger in Anlagen investiert als im Jahr 2019. "Das ist vielleicht mein härtester Chart", sagte Felbermayr bei der Präsentation. "Das ist nicht nur ein Problem für die unmittelbare Konjunktur. Es ist ein Problem für die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft in den nächsten Jahren", warnte Felbermayr.

Regierung muss tätig werden
Die sinkende Investitionstätigkeit gehe nicht nur auf höhere Löhne zurück, sondern auch auf den Ausblick was die Arbeitskräfte betrifft. Es gebe zwar mehr Beschäftigte (was auch auf die Erhöhung des Frauenpensionsalters zurückgeht), die geleisteten Arbeitsstunden seien aber gesunken. Fehlt das Wachstum an – vor allem jungen – Arbeitskräften, würden Betriebe sich überlegen, ob sie Produktionsstandorte ausbauen. Die Fabriken in Österreich, aber auch in anderen europäischen Staaten, seien oft auf dem Stand von vor zehn oder mehr Jahren. "Junge Fabriken verkörpern den Stand der Forschung", so Felbermayr. "Ich weiß nicht, ob dieser Groschen bei der Regierung schon gefallen ist", sagte der Wifo-Chef.

Dass die Arbeitsleistung sinkt, gleichzeitig aber die Bevölkerung wächst, führt auch zu einem Inflationsproblem: Es braucht mehr Dienstleistungen. Bei stagnierendem Angebot wird das die Preise steigern.

Hoffen auf deutsche Regierung
Die Stimmung könne sich aufhellen, wenn etwa in Deutschland die zukünftigen Koalitionspartner eine Zweidrittelmehrheit im Parlament organisieren können für ein großes "Sondervermögen Infrastruktur und die Aushebelung der Schuldenbremse zur Aufrüstung der Bundeswehr". "Aus diesem fiskalischen Impuls könnte für Deutschland mehr Wachstum resultieren", so Felbermayr. Deutschland sei eines der wenigen Länder, die noch fiskalischen Raum haben, die Schulden zu erhöhen, ohne gleich die Kupons bei den Staatsanleihen hinaufzutreiben.

Auch was die neue österreichische Regierung betrifft, forderte Felbermayr einen Vertrauensvorschuss. Einige Programmpunkte seien gut. Doch man wird sich Gedanken über Einschnitte machen müssen: "Langfristig müssen wir uns auch ohne EU-Defizitverfahren Gedanken über Konsolidierung machen. Wichtig ist, dass uns nicht passiert, was den Franzosen passiert ist. Eine Verschuldung von 110 Prozent des BIP hat das Vertrauen der Märkte beeinflusst und die Renditen der Staatsanleihen nach oben getrieben", warnte Felbermayr. (eml)