Fed wagt stärkste Zinserhöhung seit 1994
Es hatte sich schon angekündigt, dass Jerome Powell und seine Kollegen vom Offenmarktausschuss der US-Notenbank kräftig an der Zinsschraube drehen würden – wie sonst sollten sie die galoppierende Inflation in den Griff bekommen? Die ersten Reaktionen auf den Schritt fallen gemischt aus.
Die US-Notenbank Fed hat die Leitzinsen am Mittwochabend (15.6.) um 75 Basispunkte auf eine Spanne von 1,5 bis 1,75 Prozent angehoben – so kräftig wie seit 1994 nicht mehr. Im Juli steht eine weitere Zinserhöhung um 50 bis 75 Basispunkte an, machte der Offenmarktausschuss um Präsident Jerome Powell deutlich.
Damit reagiert die Fed auf die hohe Inflation in den USA, die im Mai bei 8,6 Prozent lag – und damit deutlich höher, als an den Finanzmärkten erwartet worden war. Die Bekanntgabe der Teuerungsrate hatte einen neuerlichen Kursrutsch an den Märkten ausgelöst. Powell selbst räumte ein, die Höhe der Inflation hätte ihn "überrascht".
Euro Stoxx 50 fällt auf Jahrestief
Der Fed-Chef und seine Kollegen machten deutlich, dass sie entschlossen gegen die Teuerung vorgehen möchten. In ihrer obligatorischen Presseerklärung verpflichten sie sich, "die Inflation auf das Zwei-Prozent-Ziel zurückzuführen". Ende dieses Jahres rechnen sie nun mit einem Leitzins von 3,4 Prozent, für 2023 erwarten sie ein Niveau von 3,8 Prozent.
Schon in den vergangenen Tagen hatte sich an den Märkten die Erwartung verfestigt, dass die Fed die Leitzinsen um 0,75 Prozentpunkte anheben wird und nicht nur um 0,5 Punkte, wie sie das im Mai angekündigt hatte. Nach der Zinsentscheidung kam es daher zunächst nur zu verhaltenen Reaktionen an den Finanzmärkten, im weiteren Verlauf legten die US-Börsen sogar kräftig zu. In Europa dagegen regierte am Donnerstagvormittag die Skepsis: Der Dax notierte rund 1,9 Prozent im Minus, der Euro Stoxx 50 verlor 1,7 Prozent. Für den europäischen Auswahlindex bedeutet das den tiefsten Stand seit Jahresbeginn.
"Aktienmärkte dürften sich schon bald stabilisieren"
"Die Zinserhöhung um 75 Basispunkte ist ein klares Signal, dass die Bank ihr Stabilitätsziel nach längerem Zögern jetzt mit Nachdruck verfolgt und nicht die Fehler der Politik in den 1970er Jahren wiederholen wird", meint Michael Heise, der Chefökonom des Multi-Family-Office HQ Trust.
Er rechnet in den kommenden Monaten mit einer deutlichen Abschwächung der Konjunktur. Aber: "Eine starke Rezession wird durch die hohen Auftragsbestände der Industrie und eine starke Post-Corona-Nachfrage im Dienstleistungssektor verhindert werden." Die Finanzmärkte hätten eine konjunkturelle Schwäche bereits vorweggenommen. "Da sich auch die Inflationsrate in den nächsten Monaten wieder zurückbilden sollte, dürften sich die Aktienmärkte schon bald stabilisieren", so Heises Erwartung.
"Doppelter Würgegriff"
"Insgesamt scheinen die US-Notenbanker fest entschlossen, ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, und zwar insbesondere in Bezug auf ihre Fähigkeit, die noch zu hohe Inflation in den Griff zu bekommen", kommentiert Christian Scherrmann, US-Volkswirt der DWS, in einer ersten Markteinschätzung. "Mit Blick auf die Zukunft muss die US-Notenbank diese Härte nun jedoch umsetzen – selbst wenn das Ergebnis eine Rezession sein sollte. Die Risiken dafür sind jetzt eindeutig noch weiter gestiegen."
Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater zufolge befindet sich die Fed im "Panik-Modus". Der US-Wirtschaft drohe im zweiten Halbjahr ein "doppelter Würgegriff aus einer zu hohen Preisdynamik und einer restriktiven Geldpolitik". (bm)