EZB vor größter Ratsumbildung seit 2019
Die Europäische Zentralbank steht mit dem Ende der Amtszeit einiger Ratsmitglieder vor ihrem größten personellen Umbau seit 2019. Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig.
Sieben der 26 EZB-Ratsmitglieder scheiden bis Dezember aus – darunter der dienstälteste Gouverneur Klaas Knot und mehrere ehemalige Finanzminister. Ihre Erfahrung aus der europäischen Schuldenkrise könnte fehlen, insbesondere angesichts knapper Budgets und geopolitischer Unsicherheiten, darunter Donald Trumps Handelspolitik.
Nach dem stärksten Inflationsanstieg in der Geschichte der Eurozone stehen auch wiedergewählte Zentralbankchefs vor Herausforderungen. Der lettische Gouverneur Martins Kazaks blieb nach dem Ende seiner ersten Amtszeit im Dezember zunächst im Unklaren, da Politiker in seinem Land ihn ersetzen wollten – am Donnerstag (6.2.) wurde er schließlich für fünf weitere Jahre bestätigt.
Ein radikaler Kurswechsel in Frankfurt ist unwahrscheinlich, doch für Marktbeobachter wird es schwieriger, die künftige Politik einzuschätzen. Auch das Gleichgewicht zwischen Falken und Tauben könnte sich verschieben.
"Diese Veränderungen kommen zur Unzeit, da die EZB vor schwierigen Entscheidungen steht. Die wirtschaftlichen Aussichten haben sich verschlechtert, Trumps mögliche Politik könnte sie weiter belasten, während die Inflation weiterhin zu hoch bleibt", sagt Carsten Brzeski, Leiter Macro Research bei ING. "Eine EZB mit bis zu sieben Neulingen ist fehleranfälliger."
Weniger Orientierung für die Märkte
Jüngste Daten unterstreichen die Herausforderungen: Entgegen den Erwartungen stagnierte das Bruttoinlandsprodukt zum Jahresende, während die Inflation im Januar wieder anstieg.
"Neue EZB-Mitglieder brauchen Zeit, um sich zu positionieren. Sie zögern oft, frühzeitig Signale zu geben, was Prognosen erschwert", erklärt Jari Stehn, Chefökonom für Europa bei Goldman Sachs. Der Spanier Jose Luis Escriva, seit September im Amt, hielt sich trotz umfassender Erfahrung als Ökonom mit geldpolitischen Aussagen lange zurück.
EZB bleibt stabil – doch 2026 droht größerer Schock
Analysten erwarten trotz personeller Wechsel eine Fortsetzung des aktuellen Zinstrends. Die EZB bleibt strukturell stabil, da die Neubesetzungen das Direktorium, das zentrale Gremium, nicht betreffen. "Die EZB ist in ihrer Unabhängigkeit und Entscheidungsfindung gut geschützt", betont Anatoli Annenkov, Ökonom bei Société Générale. "Die Institution ist wichtiger als die Person."
Doch der Wechsel bringt potenzielle Risiken: Falken wie Knot und der Österreicher Robert Holzmann werden ersetzt, Letzterer durch Martin Kocher, der bisher kaum geldpolitische Positionen bezogen hat. Auch Mario Centeno (Portugal) und Olli Rehn (Finnland) könnten abtreten. Rehn, einst EU-Kommissar während der Schuldenkrise, hat jedoch bessere Wiederwahlchancen.
Gleichzeitig könnte eine zunehmende Zahl von Politikern im EZB-Rat die Unabhängigkeit der Zentralbank infrage stellen. Christine Lagarde betonte kürzlich die Notwendigkeit, frei von politischer Einflussnahme zu agieren: "Es ist unerlässlich, dass Zentralbanken unabhängig sind, um Preisstabilität zu gewährleisten."
Während der EZB die aktuellen Wechsel keine ernsthaften Probleme bereiten dürften, könnte der wahre Schock erst 2026 und 2027 folgen: Dann laufen die Amtszeiten von Lagarde, Vizepräsident Luis de Guindos, Chefökonom Philip Lane und Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel aus – ein personeller Umbruch mit potenziell weitreichenden Folgen für die Geldpolitik der Eurozone. (mb/Bloomberg)