Die Europäische Zentralbank (EZB) will Rückzahlungen aus ihrem Corona-Stützungsprogramm für die Finanzmärkte nutzen, um die Renditen von Staatsanleihen von Ländern wie Italien zu drücken. Zudem kündigten die Währungshüter an, die Arbeit an einem Instrument zu beschleunigen, dass die sogenannte Fragmentierung stoppen soll. Dies berichtet die Nachrichtenagentur "Reuters". Die EZB-Spitze war am Mittwoch (15. Juni) überraschend zu einer Notfallsitzung zusammengekommen.

Hintergrund für das Sondertreffen sind die Turbulenzen an den Anleihemärkten. Die Bondrenditen höher verschuldeter Staaten der Währungsunion waren seit der jüngsten regulären Zinssitzung deutlich gestiegen. Die Euro-Währungshüter hatten angesichts der hohen Inflationsraten die Abkehr von der expansiven Geldpolitik eingeleitet und eine Zinserhöhung im Juli sowie eine weitere im September angekündigt.

Entwicklung "beschleunigt"
Ein konkretes Instrument, mit dem ein Auseinanderdriften der Anleiherenditen der Währungsunion verhindert werden soll, hatten die Währungshüter nach der regulären Sitzung aber nicht vorgestellt. Marktteilnehmer hatten sich konkretere Angaben erhofft, wie so ein Instrument zur Eindämmung der Fragmentierung aussehen soll. Nach dem Notfalltreffen teilte die EZB auch nur mit, dass die zuständigen Ausschüsse angewiesen wurden, die Arbeit an diesem Werkzeug zu "beschleunigen".

Zudem kündigte die EZB an, Geld aus fällig gewordenen Anleihen zu nutzen, die die Zentralbank im Zuge des Corona-Stabilisierungsprogramms PEPP gekauft hatte, um die Anleiherenditen hoch verschuldeter Eurostaaten zu drücken. "Der EZB-Rat hat beschlossen, dass er bei der Wiederanlage fälliger Tilgungen im PEPP-Portfolio flexibel vorgehen wird, um das Funktionieren des geldpolitischen Transmissionsmechanismus zu gewährleisten", heißt es in der Mitteilung der EZB.

"Das absolute Minimum"
Die Rendite italienischer zehnjähriger Staatsanleihen war in den vergangenen Tagen auf mehr als vier Prozent geklettert. Das war der höchste Stand seit 2014. Der Risikoaufschlag gegenüber zehnjährigen Bundesbonds war zeitweilig auf 250 Basispunkte gestiegen. Nach Ankündigung der Dringlichkeitssitzung der EZB hatten sich die Renditeabstände zunächst verringert. Auch die Risikoprämien spanischer und griechischer Bonds waren wieder gesunken.

Ob die in der Notfallsitzung beschlossenen Maßnahmen die Märkte dauerhaft beruhigen können, erscheint Beobachtern zweifelhaft. "Ich würde die heutige Erklärung als das absolute Minimum dessen sehen, was zu erwarten war, aber auch als das realistischste Ergebnis", sagte Piet Christiansen, Chefstratege der Danske Bank, der Nachrichtenagentur "Bloomberg". Die Notenbank habe sich zudem etwas Zeit verschafft. "Wir werden von den Ausschüssen wahrscheinlich erst auf der Sitzung im Juli oder September etwas hören."

"Für gewisse Beruhigung sorgen"
Optimistischer zeigt sich Ulrike Kastens, Europa-Volkswirtin der DWS. Die Ankündigung des geldpolitischen Instruments zur Eindämmung der Renditesprünge sei wichtig gewesen. "Zwar ist die Ausgestaltung noch völlig unklar, doch allein die Ankündigung, dass ein solches Instrument geplant ist, sollte für eine gewisse Beruhigung an den Märkten sorgen", meint Kastens. "Insgesamt dürfte dies der EZB auch die Möglichkeit geben, die Leitzinsen schneller und aggressiver zu erhöhen, da Spread-Ausweitungen zu einem gewissen Grad begrenzt sind." (ert)