Ex-OeNB-Gouverneur Holzmann: "Die Parallelen sind erschreckend"
Der ehemalige österreichische Notenbankchef Robert Holzmann spricht im Interview mit FONDS professionell ONLINE über Ideen für EU-Anleihen, den Renaissancefürsten-Habitus des US-Präsidenten – und Trumps ökonomische Irrtümer.
Robert Holzmann war ab September 2019 Gouverneur der Österreichischen Nationalbank (OeNB) und damit auch Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB). Am 1. September 2025 wurde er in diesen Funktionen vom bisherigen österreichischen Wirtschaftsminister Martin Kocher abgelöst.
Unter den EZB-Kollegen galt Holzmann als "Falke", er setzte sich also für eine strengere Geldpolitik ein, mit höheren Zinsen und dem Ziel, die Inflation niedrig zu halten. Dabei stimmte er gern gegen den "Mainstream" ab. Er fühle sich in dieser Position "ganz wohl", sagt Holzmann im Gespräch.
Der gebürtige Steirer hat für Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank gearbeitet, wo Pensionssysteme zu seinen Hauptgebieten zählten. Ein Themenfeld, in dem er nun weiterarbeiten möchte, wie er sagt.
Herr Holzmann, in den USA sehen wir Angriffe durch Präsident Donald Trump auf die Fed-Führung beziehungsweise auf das Fed-System. Muss uns das in Europa Sorgen machen?
Robert Holzmann: Ja, selbstverständlich. Der US-Dollar ist und bleibt vorerst die wichtigste Währung. Anzeichen einer Schwächung haben Effekte auf die gesamten Finanzmärkte. Wenn Investoren beginnen, staatliche Wertpapiere zu meiden, kommt es zu einer Umschichtung, die bei so riesigen Volumina wie im Dollar mit Problemen verbunden ist. Gehen die Investoren in andere Märkte, dann steigen dort die Preise, die Zinsen sinken, und gegebenenfalls kann daraus ein richtiger Run werden. Die USA haben als einer der ersten Staaten ihrer Zentralbank Unabhängigkeit gewährt. Diese Unabhängigkeit der Fed war in der Vergangenheit ein Mitgrund für die starke Nachfrage nach amerikanischen Wertpapieren.
Sehen Sie die Gefahr, dass es zu einem derart starken Eingriffsversuch wie in den USA auch in der EZB kommen könnte?
Holzmann: Im Moment nicht. Eine Einflussnahme wäre auch etwas schwieriger in Europa. Denn man hat jetzt 20 Euro-Länder – mit Bulgarien bald 21. Dazu kommen die sechs Mitglieder aus dem EZB-Direktorium. In den USA gibt es weniger mitbestimmende Mitglieder.
"Trumps ökonomisches Konzept wird so nicht aufgehen."
Trump hat Lisa Cook als Fed-Mitglied abberufen und bringt dabei Kreditbetrugsvorwürfe vor. Fed-Chef Jerome Powell versucht er laufend, öffentlich zu diskreditieren. Powells Amtszeit dauert noch bis Mai 2026. Wie ist Ihre Einschätzung: Hält er so lang durch, oder wird Trump auch bei ihm auf eine Abberufung hinarbeiten?
Holzmann: Ich glaube, Trump weiß um die Reputationsprobleme, wenn er das macht. Der "Economist" hat gerade einen sehr interessanten Artikel veröffentlicht, der diese Situation mit den Vorgängen an den Höfen der Renaissancefürsten vergleicht: Wie sich die Courtiers verhalten haben, was ihnen passieren kann, und wie sie versuchen, die Gunst des Fürsten zu bekommen, das ist toll zu lesen. Die Parallelen sind wirklich erschreckend.
Die Renaissancefürsten haben immerhin die Kultur gefördert. Davon sieht man am Hof von Trump wenig.
Holzmann: Damals war es noch etwas besser.
Wie gefährlich sind die ökonomischen Vorstellungen Trumps?
Holzmann: Seine Überlegungen zu den Zöllen hat er durchgezogen. Er glaubt, dass Zölle eine geeignete Einnahmenquelle sind. In diesem Jahr werden daraus Einnahmen von rund 300 Milliarden Dollar erwartet, oder mehr. Das reicht aber nicht aus, um das hohe Budgetdefizit in den Griff zu bekommen. Und Trump glaubt, dass Zölle die Reindustrialisierung Amerikas ermöglichen. Das ist, glaube ich, ein Irrtum. Denn vergangene Industriepreise könnte man nur durch den Einsatz von sehr viel Robotertechnik erziehen. Aber das schafft keine Arbeitsplätze. Und wenn die Reindustrialisierung tatsächlich Arbeitsplätze schafft, dann zu Preisen, die sich keiner leisten kann. Die verarbeitende Industrie macht in Amerika nur noch um die zehn Prozent aus. Das gibt nicht die Masse an guten Mittelklassejobs her. Trumps ökonomisches Konzept wird so nicht aufgehen. Seine Politik wird erhebliche Verzerrungen in den USA und weltweit bewirken. Alle werden gegenüber dem heutigen Zustand schlechter dastehen.
"In Europa sind Vorhaben wie Kapitalmarktunion oder die Savings und Investment Union immer noch Wortblasen. Dass wir jetzt den Platz der US-Treasuries einnehmen, wird es nicht spielen."
Wie soll sich die EZB verhalten? Einige denken wieder über gemeinschaftliche Euro-Bonds nach: Wenn die USA ihren Stellenwert als zuverlässiger Staatsanleihenemittent verlieren, könnte Europa die Lücke füllen. Eine gute Idee?
Holzmann: Es gibt zwar europäisch ausgegebene Wertpapiere, aber natürlich ist der Emittent kein Zentralstaat; letztendlich geht es um Schulden einzelner Staaten. Viele Staaten haben ohnehin kein Interesse an gemeinsamen Wertpapieren, während Frankreich oder Italien das aufgrund ihrer Schuldenlage sicher gern hätten. Der in den USA tätige französische Ökonom Olivier Blanchard schlägt unter dem Begriff "Blue Bonds" vor, dass die EU-Staaten einen begrenzten Anteil ihrer nationalen Anleihen durch gemeinsame europäische Wertpapiere ersetzen. Eine andere Idee – sie scheint mir die realistischste – habe ich aus Jackson Hole (ein globales Zentralbanker-Treffen in den USA, Anm. d. Red.) mitgenommen: Den größten Anteil im Fed-Portfolio machen nicht etwa die Treasuries aus, sondern die Mortgage Backed Securities. Also verbriefte und besicherte Instrumente zur Wohnbauförderung. Europa hätte damit ein Wertpapier, das mit dem Bausektor und mit privatem Vermögen verbunden ist, nicht mit der Schuldenhöhe der Staaten. Natürlich ist nicht gesagt, dass man uns das in größerem Ausmaß abkaufen würde. Die Attraktivität eines zentralen Wertpapieres hängt ja an der wirtschaftlichen Macht eines Landes. Und in Europa sind Vorhaben wie Kapitalmarktunion oder die Savings und Investment Union immer noch Wortblasen. Dass wir jetzt den Platz der US-Treasuries einnehmen, wird es nicht spielen.
Europa will über das Programm "ReArm" 800 Milliarden Euro in Rüstung investieren. Welchen Stellenwert hat die Rüstung momentan für die EZB?
Holzmann: Wir hatten eine eigene Sitzung, wo wir uns informiert haben, über die Rüstungsindustrie, die militärstrategischen Überlegungen und die Finanzierung. Wie das Gesamte ausschauen wird und wie das finanziert wird: Ich glaube, da gibt es noch keinerlei Beschlussfassungen.
Der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi hat oft die mangelnden Infrastrukturinvestitionen der Staaten kritisiert. Seine Nachfolgerin Christine Lagarde ist jetzt in der Situation, dass das Rüstungspaket ein Wirtschaftsmotor sein könnte, gleichzeitig aber inflationstreibend wirken würde. Ist sie in einer komfortableren Situation als Draghi oder in einer schwierigeren?
Holzmann: Vielleicht bin ich etwas voreingenommen. Aber ich sehe ein Problem bei diesen großen, zentralen Fonds. Rund um die Aufbau- und Resilienz-Fazilität während der Corona-Pandemie hat von Mitteln in Höhe von rund 750 Milliarden Euro allein Italien fast 200 Milliarden bekommen. Ein Monitoring hat später gezeigt, dass Italien gar nicht alles ausgeben konnte, weil dort die Administration das einfach nicht bewältigt hat. Da ist für mich immer die Frage, ist so ein großer Fonds fähig, Dinge zu bewegen?
Europa ist durch die Krise gekommen.
Holzmann: Ja, das Geld war ausgegeben. Aber für eine Wirkung fehlten oft Reformen. Wie in Italien. Wenn Sie in dem Land, wo die Zahlungsmoral schlecht ist, als Unternehmer jemandem Waren schicken, kann es zehn Jahre oder mehr dauern, bevor Sie von einem säumigen Kunden vor Gericht das Geld erstreiten. Das führt dazu, dass gerade kleinere Unternehmen nur mit Partnern aus der Umgebung Geschäfte machen, die sie kennen, sie gehen also nicht ins überregionale Geschäft.
"Es wird nicht reichen, das Pensionsalter zu erhöhen. Wir müssen uns den Arbeitsmarkt für die Älteren ganz genau anschauen."
In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie, wie Sie in der Weltbank den Bereich "Social Protection and Labour" etabliert haben. Es ging um Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern. Heute sind das auch für uns die wesentlichen Themen. Wir müssen wegen der Technologisierung, der künstlichen Intelligenz oder der Demografie unsere Zugänge zu Arbeit, Vermögen, Einkommen völlig neu definieren.
Holzmann: Sie reden von einem meiner künftigen Arbeitsbereiche.
Was haben Sie genau vor?
Holzmann: Unter anderem werde ich mich wieder in der Pensionsthematik engagieren. Es wird nicht reichen, das Pensionsalter zu erhöhen. Wir müssen uns den Arbeitsmarkt für die Älteren ganz genau anschauen. Es muss das Interesse gestärkt werden, länger am Arbeitsmarkt zu bleiben, sich vorstellen zu können, länger zu arbeiten. Aber auch den Arbeitgebern muss man Anreize geben, die Leute länger zu beschäftigen. Also: Nicht einfach in derselben Firma noch drei Jahre anhängen, sondern, dass man auch über veränderte Aufgabenbereiche nachdenkt. Das ist nicht nur für uns eine Herausforderung. Das gilt genauso für die USA oder China und unsere Nachbarn. Wir sind da schon ein bisschen spät dran.
In welcher Funktion wollen Sie da tätig werden?
Holzmann: Ich habe einen Vorschlag gemacht, das über das IHS zu machen. Es wäre eine mit-leitende, aber unbezahlte Funktion. Auch Kollegen aus der OeNB haben mich dazu ermutigt. Mal schauen, ob die OeNB in Verbindung mit anderen etwas aufstellt. Wenn nicht auf diesem Weg, dann mache ich das wieder wie früher über die Weltbank. Aber dann eben nicht für Österreich.
"Rarität hat auch den Vorteil, dass man, wenn man so will, weniger um sein Revier kämpfen muss. In der Rarität fühle ich mich ganz wohl."
Zoologisch gesprochen ist der Falke ein geschütztes Tier. Er ist nicht komplett bedroht, aber ein bisschen rar. Wie ist das in der Finanzwelt?
Holzmann: Könnte auch zutreffen.
Sind Schutzmaßnahmen nötig?
Holzmann: Nein, überhaupt keine. Rarität hat auch den Vorteil, dass man, wenn man so will, weniger um sein Revier kämpfen muss. In der Rarität fühle ich mich ganz wohl. Und dass der Falke in der Geldpolitik vom Aussterben bedroht ist, glaube ich nicht. Da gibt es immer wieder genug Personen, die diese Position ganz gern einnehmen.
Vielen Dank für das Gespräch. (eml)















