Die Europäische Zentralbank (EZB) soll unabhängig vom politischen Geschehen für eine stabile Währungsunion sorgen. Doch von diesem Ziel scheint sie sich immer mehr zu entfernen, meint Thomas Böckelmann, leitender Portfoliomanager beim Vermögensverwalter Euroswitch. "Die EZB, mittlerweile größter Kreditgeber ihrer Eigentümer – der Eurostaaten –, droht nachhaltig zum Selbstbedienungsladen zu werden", sagt Böckelmann. So habe bereits die jüngst erfolgte Ausweitung der Inflationsziele einen faden Beigeschmack. Seiner Meinung nach bilden sie die Grundlage. Auf der sich trotz Preissteigerungen die negativen Zinsen weiter rechtfertigen lassen.

Profiteure dieser Entwicklung sind allen voran überschuldete Eurostaaten. Dabei räumt Böckelmann ein, dass die EZB keinen großen Handlungsspielraum habe. "Bei aller Kritik darf aber nicht übersehen werden, dass es im Sinne eines Bestandsschutzes der europäischen Staatengemeinschaft wenig Handlungsalternativen gibt – trotz mehr als 20 Jahren Währungsunion sind die Wirtschaftsphilosophien und Wettbewerbsfähigkeiten der Länder zu unterschiedlich", sagt der Marktexperte.

Kritik auch an Fed 
Auch in anderen Regionen beobachtet Böckelmann einen Verlust der politischen Autonomie seitens der Zentralbanken, etwa der US-amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed). "Die Biden-Regierung scheint vor Inflationssteigerungen, die möglicherweise zu einem strukturellen Problem werden, keine Angst zu haben, und auch die US-Notenbank Fed zeigt sich gezielt entspannt", sagt Böckelmann. (fp)