Noch vor wenigen Monaten schienen europäische Aktien auf dem Standstreifen statt auf der Überholspur zu sein. Doch seit Jahresbeginn erlebt Europa ein beeindruckendes Comeback: Von Januar bis Mitte März stieg der MSCI Europe um zwölf Prozent, während US-Aktien, die bisherigen Börsen-Favoriten, fünf Prozent einbüßten.

Nach der Wahl von Donald Trump und seiner "Make America Great Again"-Agenda galt eine protektionistische US-Handelspolitik kombiniert mit Steuersenkungen als verlängerter Motor für ein amerikanisches Jahrzehnt an den Finanzmärkten. Doch nun stellt sich die Frage: Ist das Comeback Europas nur ein Strohfeuer?

Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, sieht in europäischen Aktien weiter Aufholpotenzial: "Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die Folgen der 'MAGA'-Politik Europa zu Reformen drängen, die ein besseres Wachstumsumfeld erwarten lassen. In diesem Fall wäre die Outperformance europäischer Aktien erst ein Anfang – und aus 'MAGA' könnte 'MEGA' werden."

Konsolidierung schafft Spielraum
Laut Galler hatte Europas relative Schwäche in den vergangenen 15 Jahren mehrere Gründe: makroökonomische Faktoren, eine unvorteilhafte Sektor-Zusammensetzung mit hohem Finanzanteil sowie strukturelle Schwächen wie Demografie und fehlende Wettbewerbsfähigkeit. Doch Europa hat im Unterschied zu den USA den Staatshaushalt konsolidiert.

"Europa hat nach der Eurokrise den Gürtel enger geschnallt, während die USA mit Subventionen und Steuergeschenken um sich warfen", sagt Galler. Während die US-Staatsverschuldung um 27 Prozent des BIP stieg, sank sie in der Eurozone um drei Prozent.

Neue Richtung in Regulierung und Finanzpolitik
Ein weiterer Aspekt: Der regulatorische Fokus der EU. In Europa stiegen die Klimaschutzauflagen stark an. Der CO2-Preis liegt bei 70 US-Dollar pro Tonne, verglichen mit 14 in China – und null in den USA. Das belastet energieintensive Unternehmen massiv.

Doch ein Umdenken beginnt: Brüssel will etwa der Autoindustrie mehr Zeit für CO2-Grenzwerte einräumen und das Lieferkettengesetz entschärfen. Auch fiskalpolitisch zeichnet sich ein Kurswechsel ab. "Europa rückt zusammen, um neue Herausforderungen zu meistern", sagt Galler. "Deutschland erhöht den Verschuldungsspielraum und investiert mehr. Das ist ein Bruch mit der bisherigen Sparpolitik."

Bewertungsabschläge bieten Chancen
Der Mangel an europäischen Tech-Giganten spielt derzeit eine geringere Rolle. "Einige wenige US-Unternehmen profitierten enorm vom KI-Hype", sagt Galler. "Sie prägten die amerikanische Dekade." In Europa dominiert weiterhin der Finanzsektor. Nach der Finanz- und Eurokrise war die Branche lange unter Druck. Doch nun bringen steigende Zinsen und sinkende Risiken neuen Schwung.

"Die letzte starke europäische Outperformance gab es nach dem Platzen der US-Technologieblase Anfang der 2000er-Jahre", so Galler. "Diesmal ist der Hype fundierter, doch die 'Glorreichen Sieben' stehen unter Druck, ihre hohen Erwartungen zu erfüllen." Trotz der positiven Entwicklung notieren europäische Aktien laut Galler weiterhin mit einem deutlichen Bewertungsabschlag gegenüber US-Titeln. "Das bietet weiteres Aufholpotenzial." (mb)