"Die Prinzipien des nachhaltigen Investierens sollen dafür sorgen, dass Kapital in wirtschaftliche Aktivitäten mit positiven Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft (ESG) gelenkt wird", stellt Philippe Zaouati, CEO der Natixis-IM-Tochter Mirova, grundsätzlich fest. Historisch gesehen sei die Rüstungsindustrie von diesem Ansatz ausgeschlossen worden, was mittlerweile nicht mehr nur die explizit mit dem "ESG"-Label versehenen Fonds betreffe, auch Banken, Staatsfonds, institutionelle Anleger sowie einige Finanzvertriebe würden ähnlichen Ansätzen folgen und hätten sich strenge Beschränkungen für die Finanzierung von Rüstung auferlegt. "Damit wird der Zugang zu privatem Kapital eingeschränkt", so Zaouati, was spätestens seit dem Beginn der Invasion Russlands in der Ukraine deutlich mache, dass der europäischen Finanzindustrie ein klarer und transparenter Investitionsrahmen fehle, der auch Lösungen zur Verteidigung und Friedenssicherung unterstützen würde.

"In einem geopolitischen Kontext, der von zunehmenden Spannungen und Bedrohungen der Souveränität von Demokratien geprägt ist, ist das ein Problem", so der auf nachhaltige Investments ausgerichtete Asset Manager. Es stelle sich die Frage, ob nicht der Schutz der Bevölkerung und demokratischer Institutionen die Voraussetzung schlechthin sei, ohne die eine Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft Makulatur ist. Während die großen Konzerne der Branche ihre Aufträge vom Staat erhalten, in der Regel gut kapitalisiert sind und in den letzten Jahren nur wenig auf die Finanzmärkte zurückgegriffen haben, sehe die Situation für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), nicht börsennotierte Unternehmen und Tech-Start-ups ganz anders aus. "Diese Unternehmen spielen jedoch eine Schlüsselrolle bei der Innovation und Entwicklung dualer Technologien, die sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken dienen", ist Zaouati überzeugt.

Nachhaltiges Investieren darf nicht zum Hindernis werden
Es gehe also um mehr als nur um die Frage der Finanzierung von Rüstungsgütern. Es gehe vielmehr um die Innovations- und Investitionsfähigkeit in strategische Technologien in Europa. "In einer Zeit, in der die USA und China ihre strategischen Industrien massiv unterstützen, kann es sich Europa nicht leisten, in so kritischen Sektoren zu wenig zu investieren", glaubt der Franzose. "Nachhaltiges Finanzwesen darf kein Hindernis, sondern kann und muss ein Hebel sein, um eine verantwortungsvolle Finanzierung der Verteidigung zu strukturieren." Es gehe nicht darum, ökologische Transformation und Souveränität gegeneinander auszuspielen, sondern einen ausgewogenen Ansatz zu entwickeln, der den Realitäten der heutigen Welt Rechnung trage.

ESG sei schon immer ein Instrument gewesen, um Kapital auf Ziele von allgemeinem Interesse auszurichten. Jetzt müsse es einen Rahmen erhalten, der es ermögliche, Sicherheitsfragen in eine erweiterte Vision nachhaltiger Finanzen einzubeziehen. Dazu gehören nach Ansicht von Zaouati zwei wesentliche Aspekte:

  • Solche Segmente der Verteidigungsindustrie zu identifizieren, die klare ethische und verantwortungsvolle Kriterien erfüllen und keine Waffen herstellen, die durch internationale Konventionen verboten sind.
  • Die Rückverfolgung von Finanzierungen und Transparenz bei der Verwendung des investierten Kapitals zu gewährleisten, und so das Risiko von Menschenrechtsverletzungen in den Importländern berücksichtigen.

Green-Bond-Rahmenwerke als Vorbild
"Die Entwicklung und die zunehmende Bedeutung von Green Bonds haben gezeigt, dass es möglich ist, Kapital in bestimmte Aktivitäten zu lenken und dabei einen strengen Rahmen für die Mittelzuweisung und die Überwachung der Auswirkungen zu gewährleisten", nennt Zaouati als möglichen Ansatz. Sich an diesem erprobten Mechanismus zu orientieren, könne helfen, auch für die Finanzierung von Rüstung passende Rahmenwerke zu entwickeln.

So könne er sich "European Defense Bonds" vorstellen, deren Mittel in Projekte mit hoher strategischer und technologischer Bedeutung für die europäische Souveränität fließen würden. Ein dafür zu entwickelndes Rahmenwerk würde seiner Auffassung nach Folgendes leisten:

  • Investitionen in kritische Innovationen, insbesondere in duale Technologien, lenken.
  • Eine strenge Kontrolle über die Verwendung der Mittel gewährleisten und jegliche Finanzierung von Aktivitäten vermeiden, die den ESG-Prinzipien widersprechen.
  • Verantwortungsbewusste Investoren in einen proaktiven Ansatz einbinden, anstatt sie von einer doch zentralen Debatte auszuschließen.

"Diese Überlegungen stellen keineswegs die Prinzipien der nachhaltigen Finanzierung in Frage", so Zaouati, "sondern zielen im Gegenteil darauf ab, sie zu stärken und an die aktuellen Herausforderungen anzupassen". Die Frage der Souveränität könne nicht länger ignoriert werden, denn ohne Sicherheit und Stabilität könne kein ökologisches und soziales Übergangsprojekt erfolgreich sein. Es gehe nicht nur um Rüstung, sondern auch um den Platz verantwortungsbewusster Finanzierungen beim Aufbau eines souveränen und nachhaltigen Europas.

"Anstatt in einem ausschließenden Ansatz zu verharren, kann Sustainable Finance eine aktive Rolle beim Aufbau eines europäischen Modells der verantwortungsvollen Verteidigungsfinanzierung spielen, das sowohl transparent und ethisch als auch an die Realitäten des 21. Jahrhunderts angepasst ist", ist der ESG-Experte überzeugt. Es sei an der Zeit, dass sich Finanzakteure, Industrieunternehmen, Regierungen und Behörden an einen Tisch setzen, um gemeinsam die Konturen einer Verteidigungsfinanzierung zu definieren. (hh)