Bundesbankchef warnt vor überstürzten Zinssenkungen
Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte laut Ratsmitglied Joachim Nagel Zinssenkungen nicht überstürzt vornehmen, insbesondere da sich die Zinsen einem Niveau annähern, das die Wirtschaft weder bremst noch stimuliert.
"Je näher wir dem neutralen Zinssatz kommen, desto sinnvoller ist es, schrittweise vorzugehen", erklärte Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, am Mittwoch (12.2.) in einem Vortrag an der London School of Economics. Nach Berechnungen der Bundesbank liegt dieser neutrale Zinssatz zwischen 1,8 und 2,5 Prozent – also knapp unter dem aktuellen EZB-Einlagensatz von 2,75 Prozent.
Nagel warnte davor, die Zinspolitik auf "Autopilot" zu stellen. "In der derzeit unsicheren Lage gibt es keinen Grund für voreiliges Handeln", betonte er. "Die Daten werden uns zeigen, wo wir hin müssen."
Diskussion wird kontroverser
Seit Juni 2024 hat die EZB den Einlagensatz um 125 Basispunkte gesenkt. Während Analysten und Investoren auf eine weitere Zinssenkung im kommenden Monat setzen, bleibt die weitere Entwicklung nach März ungewiss. Innerhalb des EZB-Rats werden die Diskussionen zunehmend kontrovers geführt.
Die Inflation lag im Januar bei 2,5 Prozent und dürfte nach Prognosen in diesem Jahr nachhaltig das Zwei-Prozent-Ziel der EZB erreichen. Einige Währungshüter warnen jedoch vor möglichen Aufwärtsrisiken, darunter steigende Energiekosten und Zölle. Andere hingegen befürchten, dass die schwächelnde Konjunktur in der Eurozone die Inflation unter das Ziel drücken könnte.
"Wir sind noch nicht am Ziel, aber ich bin überzeugt, dass wir bis Mitte dieses Jahres unser Inflationsziel erreichen werden – das sind also gute Nachrichten", sagte Nagel. Eine deutliche Unterschreitung des Inflationsziels halte er für unwahrscheinlich.
Ein weiteres Zeichen für anhaltende globale Preisrisiken sind die unerwartet hohen US-Inflationsdaten für Januar. Dies veranlasste Händler dazu, ihre Erwartungen für eine EZB-Lockerung im weiteren Jahresverlauf auf 75 Basispunkte zu senken.
Wo liegt das neutrale Zinsniveau?
Innerhalb des EZB-Rats gibt es unterschiedliche Einschätzungen darüber, wo genau das neutrale Zinsniveau liegt. Jüngste Aussagen aus dem Rat deuten auf eine Spanne von knapp unter zwei bis drei Prozent hin. Die aktualisierten Schätzungen des EZB-Stabs von letzter Woche bewegen sich dagegen zwischen 1,75 und 2,25 Prozent, wobei die Unsicherheit dieses Konzepts betont wurde.
Es wäre "riskant", geldpolitische Entscheidungen ausschließlich auf unsichere Schätzungen des neutralen Zinsniveaus zu stützen, so Nagel. Die EZB berücksichtigt eine Vielzahl von finanziellen, realwirtschaftlichen und anderen Indikatoren für ihre Zinspolitik.
Dennoch bezeichnete Nagel das Konzept der Neutralität als "äußerst nützlich", da es anzeige, "wann wir bei Leitzinsänderungen vorsichtiger sein müssen, um keine falschen Schritte zu unternehmen". (mb/Bloomberg)