Börsen überwachen Social-Media-Aktivitäten
Die Deutsche Börse setzt ein eigenes Werkzeug zur Überwachung von Online-Kanälen ein. Wien überlegt ebenfalls.
Der Fall des US-Computerspielehändlers Gamestop ist in die Börsengeschichte eingegangen: Während Hedgefonds auf einen Kursverfall des strauchelnden Unternehmens gesetzt hatten, trieben Kleinanleger – angespornt durch Diskussionen in Foren bei Reddit oder auf Twitter – den Anteilspreis 2021 um ein Vielfaches nach oben. Große Leerverkäufer gerieten daraufhin ins Wanken, weil sie zu unerwartet hohen Kursen zurückkaufen mussten. Einen derart wuchtigen Impact aus den sozialen Medien hatte im sonst so eng kontrollierten Börsengeschehen niemand auf dem Schirm.
Bei der Deutschen Börse soll dieser blinde Fleck nun mit verfeinerten Methoden aufgelöst werden. In die dort eingesetzte Marktüberwachungslösung Scila wurde ein eigener Dienst zum Monitoring von Social-Media-Kanälen implementiert. Es handelt sich um eine Anwendung des Bonner Datenanalyseunternehmens Stockpulse, das Social-Media-Daten mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) verarbeitet, wie es in einer Mitteilung heißt.
Echtzeit-Screening
Stockpulse analysiert laut Eigenangaben "Millionen von Social-Media-Beiträgen und Nachrichtenartikeln nahezu in Echtzeit". Auf diese Weise sollen ungewöhnliche Muster und potenzielle Marktmanipulationen auffallen, bevor sie einen Schaden anrichten. Abgedeckt wird ein Universum von 70.000 Aktien.
Keine eindeutige Antwort gibt es auf die spannende Frage, wie oft Auffälligkeiten in dem Bereich festgestellt werden. Stockpulse-Geschäftsführer Stefan Nann betonte, er könne diese Information nicht öffentlich teilen. Aber: "Es kommt regelmäßig vor." Soziale Medien seien "zu einem wichtigen Faktor für Marktbewegungen geworden", heißt es dazu in der Aussendung.
Börse Wien überlegt
An der Börse Wien wird der Markt ebenfalls mit Scila überwacht. Mit Stockpulse gibt es jedoch noch keinen Vertrag. Man sei aber dazu im Austausch mit Scila, sagte eine Sprecherin. Medienbeobachtung, auch neue Medien, sei bereits "ein wichtiger Bestandteil der Überwachung".
Eine Zahl, wie häufig im Monitoring Unregelmäßigkeiten auffallen, konnte die Börse-Wien-Sprecherin nicht nennen. Auffälliges oder Hinweise von Dritten, die den Verdacht auf Marktmanipulation oder Insiderhandel wecken, würden an die zuständige Behörde, die Finanzmarktaufsicht (FMA), weitergeleitet.
Ein FMA-Sprecher sagt, man habe 2024 von Marktteilnehmern (Banken, Börsen, Wertpapierfirmen) und Whistleblowern insgesamt 163 Verdachtsmeldungen auf Marktmanipulation/Insiderhandel erhalten. Es wurden 103 Untersuchungen eingeleitet. Eine Untersuchung mit Social-Media-Hintergrund gab es bisher nicht. Die FMA schaue sich KI-unterstützte Tools für diesen Bereich an, haben aber noch nicht die für den österreichischen Markt passende Lösung gefunden.
Starker Einfluss
Stockpulse-Chef Nann machte die Redaktion auf ein Forschungspapier ("Exploring How Financial Influencers Shape Crowd Sentiment and Attract Crowd") aufmerksam, das eine sehr starke Motivationsfähigkeit von Social-Media-Beiträgen nahelegt. Konkret wurden die Reaktionen auf Kurzvideos untersucht und dabei eine sehr starke Stimmungsübertragung auf die User gemessen. Die Stimmungsbildung durch Finanz-Influencer habe ein "erhebliches Ausmaß". "Daher ist es nicht verwunderlich, dass solche Plattformen für Marktmanipulationen genutzt wurden", heißt es in der Studie. (eml)
Update, 8.10.2025: Ergänzung um die Stellungnahme der FMA















