Axa-IM-Anlagechef: "Warum nicht Verteidigungsanleihen?"
Alessandro Tentori ist sicher: Wenn Deutschland wirklich mehr Flexibilität beim Staatshaushalt sucht, findet sich ein Weg. Mit FONDS professionell ONLINE spricht der Anlagechef von Axa Investment Managers über milliardenschwere Entscheidungen und den Respekt der Spekulanten vor der EZB.
Herr Tentori, in den USA haben die umstrittenen Haushaltspläne der Trump-Regierung kürzlich das Repräsentantenhaus passiert, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Verabschiedung des Haushalts. Was bedeuten die zusätzlichen Billionen Dollar an Staatsschulden für den US-Anleihenmarkt und die amerikanische Währung?
Alessandro Tentori: Der US-Ökonom Hyman Minsky sagte einmal: Mit genügend nominalem Wachstum kann man jedes Schuldenniveau finanzieren. Das nominale Wirtschaftswachstum der USA ist hoch, dazu trägt die Inflation bei, die dem Staat auch hilft, die reale Schuldenlast im Griff zu halten. Dazu besitzen die Vereinigten Staaten mit dem US-Dollar die globale Leitwährung. Die Schuldenlast stellt auf absehbare Zeit kein allzu großes Problem dar, allerdings werden die Renditen langlaufender US-Anleihen tendenziell hoch bleiben.
In Deutschland wünschen sich Politiker auch mehr fiskalische Flexibilität, allerdings dürfte eine Reform der Schuldenbremse angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag schwierig werden. Welche Lösung sehen Sie?
Tentori: Deutschland stellt innerhalb der EU einen Sonderfall dar. Deutschlands Wirtschaft ist seit Jahren kaum gewachsen und zuletzt sogar geschrumpft – und trotzdem haben wir einen Primärüberschuss vor Zinsen. Die Fiskalpolitik ist also restriktiv und obendrein noch prozyklisch. Es gibt Spielraum für Anpassungen. Eine Möglichkeit wäre eine Reform der Schuldenbremse. Alternativ könnte man bestimmte wirtschaftliche Szenarien unter Artikel 109 des Grundgesetzes berücksichtigen.
Was halten Sie von einer Aufstockung des existierenden Sondervermögens für die Bundeswehr?
Tentori: Eine strukturelle Lösung, die nicht jedes Jahr neu verhandelt werden muss, fände ich besser. Das würde auch uns Marktteilnehmern mehr Perspektive und Entscheidungsfähigkeit geben. Denken Sie etwa an die Green Bonds, da steht im Prospekt punktgenau, für welchen Zweck die Mittel ausgegeben werden. Warum nicht Verteidigungsanleihen nach dem Vorbild von Green Bonds? Die EU nennt das im Budget "Security and Defense", man könnte also "S&D-Bonds" auflegen – warum nicht? Oder Investitions-Bonds. Wichtig wäre, dass Verteidigungs- und andere Projekte so gestaltet werden, dass sie die europäische Wirtschaft stärken und langfristige Investitionsperspektiven schaffen.
Wird auch Europa mehr gemeinsame Schulden für die Verteidigung aufnehmen?
Tentori: Das europäische Verteidigungsbudget liegt derzeit bei 15 Milliarden Euro, das ist nicht einmal ein Prozent des EU-Budgets. Dagegen macht etwa das "Next Generation EU"-Programm 35 Prozent aus. Daran sieht man auch, wo ein Spielraum sein könnte, um Deutschland mit EU-Geld wieder auf die Beine zu helfen. Für uns als Investoren wäre es aber auch bei EU-Anleihen sinnvoll, wenn es mehr Planbarkeit geben würde.
Viel Geld aus dem "Next Generation EU"-Programm ist nach Italien geflossen. Offenbar mit Erfolg: Die italienische Haushaltslage ist sehr stabil und das Defizit ist sogar zurückgegangen. Was macht die Regierung richtig?
Tentori: Unter "Next Generation EU" erhält Italien so viele Finanzierungen wie kein anderes Land in Europa. Es ist keine besondere Überraschung, dass Italien dank dieser mehr als 200 Milliarden Euro ein bestimmtes Wachstumsniveau schafft, das zuzüglich der höher als erwarteten Inflation die Verschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung eher sinken lässt. Die umfangreichen Investitionen aus dem EU-Programm haben zweifellos zur wirtschaftlichen Stabilität Italiens beigetragen.
Wird das dem Land auch langfristig helfen?
Tentori: Die Investitionen sind ja auf die Digitalisierung und Modernisierung gerichtet. Also wird es auch etwas bringen und die niedrige Produktivität in Italien erhöhen. Aber noch immer verlassen viele jüngere und gut ausgebildete Arbeitskräfte Italien aus Mangel an Perspektiven. Diese Flucht der produktivsten Arbeitskräfte ist ein großes Problem.
In Frankreich steigt die Staatsverschuldung auch in diesem Jahr fast ungebremst an, auch wenn die Gesamtverschuldung noch deutlich unter der Italiens liegt. Wie besorgt sind Sie über Frankreich?
Tentori: Die Märkte preisen das meiner Meinung sehr gut ein. Der Kurs der Staatsanleihen ist etwas gesunken, aber nicht dramatisch. Der Markt hat sich an die neue fiskalpolitische Richtung angepasst, aber ohne die Volatilität wie in anderen Ländern. Es kam also nicht zu einem Extremrisiko-Szenario. Französische Staatsanleihen bieten aus unserer Sicht heute interessante Zinsen.
Die Euro-Staatsschuldenkrise ab 2010 brachte Europa in geopolitisch sicheren Zeiten an den Rand des Zusammenbruchs. Heute ist Europa innerlich gespalten und steht vor enormen externen Herausforderungen. Wird es genug Zusammenhalt und Solidarität für eine gemeinsame Rettung durch die EZB geben, falls diese wieder notwendig werden sollte?
Tentori: Die Anleiheninvestoren wissen heute, dass die Europäische Union und die EZB solidarisch agieren können. Das war bis Mario Draghis "Whatever it takes"-Rede 2012 nicht der Fall. Damals wussten wir nicht, dass die EZB Anleihen kaufen wird, und wir wussten nicht, dass die EU im Extremfall auch gemeinsame Schulden auf den Markt bringen kann. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die EU und die EZB in Krisensituationen handlungsfähig sind. Das sorgt für Vertrauen in den Märkten.
Vielen Dank für das Gespräch. (jh)