Anlagestratege: Deutsche Autoaktien auf dem Standstreifen
Die deutschen Automobilhersteller bekommen nach Meinung von Marc Decker, Aktienexperte bei der Quintet Private Bank, die Folgen strategischer Fehlentscheidungen und wenig standortfreundlicher Förderpolitik zu spüren. Beim Einstieg in Autoaktien gebe es keine Eile.
"Die deutschen Autobauer haben bislang kein Rezept gefunden, dem wachsenden Konkurrenzdruck aus Fernost Herr zu werden und zugleich dem Einbruch der heimischen Nachfrage zu trotzen", sagt Marc Decker, Co-Leiter Aktien bei der Quintet Private Bank, zu der die deutsche Privatbank Merck Finck gehört. Auch wenn deutsche Autoaktien günstig erscheinen, rät Decker derzeit nicht zum Engagement.
Bereits der Ende 2023 umgesetzte Stopp der Förderung von Elektroautos habe die Nachfrage in Deutschland stark gedämpft. Dazu komme der Absatzeinbruch der deutschen Autohersteller in China. "Margen- und Konkurrenzdruck, die geopolitische Großwetterlage sowie Energie- und Rohstoffkosten sind weitere Zutaten", sagt der Experte. Die heimische Autobranche läuft seiner Meinung nach Gefahr, aufgrund von immer schnelleren Entwicklungszyklen und – besonders im Falle von VW – strukturellen Standortproblemen den Anschluss an die internationale Konkurrenz zu verlieren.
Selbstverschuldet in die Krise
Die exogenen Faktoren dürfen laut Decker aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutschen Autokonzerne ihre aktuelle Misere selbst mitverschuldet haben: "Die Meldungen aus der VW-Konzernzentrale sind nur ein weiteres Kapitel einer Saga, in der es von strategisch kurzsichtigen Entscheidungen nur so wimmelt." Diese seien aber keineswegs nur auf VW begrenzt. Generell hätten hohe Margen im Premiumsegment viele Unternehmensverantwortliche in den Konzernzentralen der deutschen Automobilhersteller die Entwicklungen und Investitionen in Zukunftstechnologien verschlafen lassen. "Der Blick war zu sehr auf kurzfristige Erträge gerichtet und zu wenig auf langfristige Ertragspotenziale", lautet die Analyse des Aktienprofis.
Ein strategisches Dilemma für die Autohersteller mit Verbrennergeschäft bestehe zudem darin, dass viele ihrer globalen Zielmärkte auf mittlere Sicht nicht oder nicht vollständig auf Elektromobilität umstellen werden, was weiterhin nicht-elektrische Antriebe notwendig macht. Decker: "Hier ist Pragmatismus gefragt." In den Konzernzentralen müssten Strategien entwickelt werden, um den Spagat zwischen der Konzentration auf Elektrofahrzeuge und einem hinreichenden Angebot an Verbrennungsmotoren beziehungsweise Hybriden in lokalen Märkten zu schaffen. Diesen Spagat zu bewältigen und in einer glaubwürdigen Transformationsstrategie abzubilden, sei eine Kernaufgabe. Folgerichtig lasse sich am Aktienmarkt beobachten, dass Firmen wie Volvo oder Renault, die glaubwürdige Strategien für ihre Transformation präsentiert hätten, in diesem Jahr eine deutlich bessere Performance vorweisen könnten als ihre Konkurrenten.
Schwieriger Kurswechsel zu E-Mobilität
"Immerhin: Spät sind die deutschen Automobilkonzerne aufgewacht und haben entschlossen in Elektromobilität investiert", meint Decker. So konnte zuletzt BMW einen Achtungserfolg gegenüber Tesla feiern. Der Münchner Konzern überholte im Juli bei den Neuwagenverkäufen von Elektrofahrzeugen in Europa den US-amerikanischen Konkurrenten – und das trotz des allgemeinen Rückgangs bei der Nachfrage danach. "Spricht man mit Investoren am internationalen Kapitalmarkt, so wird BMW von vielen noch am ehesten die notwendige Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit zugetraut", sagt Decker.
Für Anleger sieht der Aktienexperte derzeit keinen Anlass, die vermeintlich günstigen Kurse zum Einstieg zu nutzen. Noch sind die Herausforderungen für Deutschlands Autohersteller groß – und um auf die Überholspur zu kommen, gebe es noch einiges zu tun. (jh)