Analyst über Gold: Atem holen vor dem nächsten Rekordversuch
Für kommendes Jahr prognostiziert der Vermögensverwalter Wisdom Tree neue Goldrekorde. Vorher könnte der Goldpreis aber nochmals nachgeben, meint der Leiter des Rohstoff-Researchs.
Der Goldpreis könnte kurzfristig einen weiteren Rücksetzer erfahren, das Edelmetall sollte aber 2025 auf neue Rekordhochs steigen. Das glaubt Nitesh Shah, Leiter Rohstoff- und Makro-Research beim Vermögensverwalter Wisdom Tree. "Im Konsensszenario klettert Gold bis zum zweiten Quartal 2025 auf einen Wert von 2.585 US-Dollar pro Unze, was über dem derzeitigen Höchststand vom Juli 2024 liegt", so Shah.
Neuer Rekordwert im zweiten Quartal 2025
Als Grund für einen vorübergehenden Rücksetzer beim Goldpreis nennt Shah die Geldpolitik. Die Daten, auf die sich die US-Notenbank Federal Reserve stütze, um Zinsentscheidungen zu treffen, seien selten linear und schlüssig, sodass es bei den Zinserwartungen und damit auch beim Gold zu unruhigen Bewegungen kommen könne. Shah sagt: "Unseres Erachtens könnte das lange Warten auf schlüssige Beweise für eine US-Zinssenkung im dritten Quartal 2024 zu einem kleinen Rückschlag beim Edelmetall führen, bevor eine Rally einsetzt, die den Preis von Gold auf ein neues Hoch treibt."
Hinzu komme, dass die Europäische Zentralbank (EZB) und mehrere andere wichtige Zentralbanken ihre Zinssenkungszyklen bereits eingeleitet hätten. "Dadurch bleibt der US-Dollar stabil, was Gold auf US-Dollar-Basis Gegenwind beschert. In Yen und Euro gerechnet wird das Metall daher sogar noch höher gehandelt." Nach dem internen Goldpreismodell von Wisdom Tree wurde das Edelmetall bis März 2024 in etwa zum Fair Value gehandelt, doch im Zuge der Rally im April und Mai überschritt es den fairen Preis. "Unseren Modellen zufolge könnte Gold Ende Juni um sieben Prozent überbewertet gewesen sein", erklärt Shah. Er erwartet auf Basis des Modells, "dass der größte Teil dieser Überbewertung im laufenden Quartal wieder abgegeben werden wird".
Zentralbanken bleiben Goldkäufer
Auf längere Sicht erkennt Shah jedoch mehrere Treiber für einen höheren Goldpreis. "Die Zentralbanken wollen die Goldkäufe im weiteren Verlauf des Jahres gewiss erhöhen", so der Analyst. Auch die Privatkundennachfrage nach Gold scheine sich angesichts der hohen Preise verringert zu haben, doch dieser Trend könne sich rasch umkehren. In China gingen die physischen Abhebungen an der Shanghai Gold Exchange zwar zurück – was auf eine geringere Nachfrage hindeutet –, doch die Zuflüsse in chinesische börsengehandelte Goldprodukte (ETPs) erreichten neue Rekordwerte.
Betrachte man die spekulative Nettopositionierung in Futures, zeige sich die institutionelle Stimmung gegenüber Gold nach wie vor robust. Shah: "Dieses Stimmungsbarometer beinhaltet ein Aufwärtsrisiko, wenn die geopolitischen Risiken weiter zunehmen." Das gelte umso mehr, als die US-Präsidentschaftswahlen in den Fokus rücken. Beide Präsidentschaftskandidaten verfolgten zum jetzigen Zeitpunkt eine restriktive Handelspolitik, so Shah. "Unserer Meinung nach schadet das dem globalen Wachstum, stellt aber zugleich ein Aufwärtsrisiko für den Goldpreis dar." Nicht umsonst gelte Gold als Instrument zur Absicherung gegen ungünstige wirtschaftliche und finanzielle Entwicklungen. (jh)