"An der Wall Street gibt es auch viele Kamala-Harris-Fans"
Rob Lanphier, Partner des Asset Managers William Blair aus Chicago, im Interview mit FONDS professionell ONLINE über die Folgen der US-Präsidentschaftswahlen für die Börse und die Frage, warum sein Haus gerade für Nebenwerte optimistisch gestimmt ist.
Der US-Aktienmarkt hat Anlegern in den vergangenen Jahren viel Freude bereitet. Vor allem die Aktienperformance großer Unternehmen sorgte für kräftige Gewinne. Small und Mid Caps hinkten dagegen hinterher. Rob Lanphier, Partner und Portfoliospezialist beim US-Asset-Manager William Blair, traut den kleineren Unternehmen an der Börse jedoch viel Nachholpotenzial zu, wie er bei einem Besuch in der Kölner Redaktion von FONDS professionell erläutert. Zudem führt er aus, warum die Präsidentschaftswahlen in den USA wahrscheinlich keinen so großen Einfluss auf die Aktienmärkte haben dürften, wie viele glauben, und warum seine Kollegen und er nicht viele Zeit auf die Zins- und Inflationsentwicklung verwenden.
Herr Lanphier, der US-Aktienmarkt kennt seit vielen Jahren quasi nur eine Richtung: nach oben. Wird das so weitergehen?
Rob Lanphier: Das kann niemand seriös voraussagen. Man kann Gründe nennen, warum der Markt weiter steigen könnte, aber auch Gründe fürs Gegenteil. Daher versuchen wir bei William Blair auch gar nicht, die Richtung des Marktes vorherzusehen. Stattdessen probieren wir, Unternehmen zu finden, die in der Lage sind, ihre Konkurrenten zu übertreffen – unabhängig davon, ob die Märkte steigen oder fallen.
Dennoch, Ihre Einschätzung würde uns interessieren: Was spricht für weiter steigende Kurse an der Wall Street?
Lanphier: Auf der positiven Seite ist sicher zu vermerken, dass die wirtschaftliche Lage in den USA, obwohl sich das Wachstum abschwächt, weiterhin relativ besser ist als in den meisten anderen Industrieländern. Es gibt auch immer noch eine Menge fiskalischer Anreize, die in den vergangenen Jahren für die Wirtschaft geschaffen wurden und deren Wirkung anhält. Man denke nur an den "Inflation Reduction Act", der Anreize für Unternehmen geschaffen hat, einen Teil ihrer Batterie- oder Halbleiterproduktion in die USA zurückzuholen. Das Gesetzespaket hat auch andere ausländische Unternehmen ermutigt, einen Teil ihrer Produktion in die USA zu verlagern. Der dritte Punkt, der dem Markt helfen dürfte, ist die kürzlich erfolgte Zinssenkung, die die Nachfrage nach Aktien steigern wird.
Was könnte den Markt dagegen zu Fall bringen?
Lanphier: Hier könnte man anführen, dass die Bewertungen vieler Aktien im S&P 500, in erster Linie die der Large Caps, sehr hoch sind, auch im historischen Vergleich. Zum anderen gibt es ein Konzentrationsrisiko. Wenn Sie sich den S&P 500 ansehen, werden Sie feststellen, dass es eine Handvoll Unternehmen gibt, die das Gewinnwachstum und die Bewertung des gesamten Index angetrieben hat. Die Rally kann weitergehen, es gab aber zuletzt Anzeichen für einen Verkaufsdruck dieser Aktien. Dazu kommen politische Risiken.
Sie meinen die Unwägbarkeiten wegen der US-Präsidentschaftswahlen Anfang November?
Lanphier: Ich meine die vielen geopolitischen Risiken. Die Wahlen in den USA werden die Märkte nicht auch nur annähernd so stark beeinflussen wie die Wähler und Verbraucher.
Andere Marktbeobachter sehen das anders.
Lanphier: Die Finanzindustrie ist im Allgemeinen für einen Präsidenten, der ihnen mit Steuersenkungen oder Deregulierung das Leben leichter macht. Daher steht sie eher auf Seiten von Donald Trump. Ich bin mir aber sicher, dass es an der Wall Street auch viele Kamala-Harris-Fans gibt. Es gibt aber einen wichtigen Punkt, der kaum beachtet wird: Das Repräsentantenhaus folgt in der Regel der Partei, die das Weiße Haus gewinnt. Wenn Harris ins Weiße Haus einzieht, wird das Repräsentantenhaus wahrscheinlich von den Demokraten kontrolliert. Zudem ist es oft passiert, dass die zweite Kammer an die andere Partei geht. Daher ist es sehr gut möglich, dass der Senat von den Demokraten zu den Republikanern wechselt – und dann gibt es den sogenannten "Gridlock", einen Stillstand. Das lieben die Akteure am Markt, da sich nichts ändern kann. Es können keine wichtigen Gesetze wie etwa eine Steuerreform verabschiedet werden.
Bei Ihren Anlagestrategien lassen sich Sie und ihre Kollegen bei William Blair von solchen Aspekten aber nicht leiten?
Lanphier: Ich behaupte nicht, dass wir in einer Höhle leben, aber wir lassen uns bei der Strukturierung der Portfolios nicht von unseren Annahmen über Zinssätze oder von politischen Spekulationen leiten. Vielmehr versuchen wir, über alle Sektoren Unternehmen zu finden, die unserer Meinung nach in der Lage sind, über einen langen Zeitraum hinweg zu wachsen und Marktanteile im Vergleich zu ihren Konkurrenten zu gewinnen, weil ihre Produkte oder Dienstleistungen ihnen einen Vorteil gegenüber ihren Mitbewerbern verschaffen.
Wie finden Sie diese?
Lanphier: Wir sind altmodisch und setzen uns mit den Topmanagern an einen Tisch. Dann befragen wir sie. Etwa warum sie beschlossen haben, im vergangenen Jahr nur 15 statt 30 neue Vertriebsmitarbeiter einzustellen. Wenn die Antwort lautet, dass sie versuchten, die Erträge mit den Erwartungen der Wall Street in Einklang zu bringen, dann ist das eine schlechte Antwort. Wenn die Antwort lautet, dass sie nicht genügend gute Leute finden konnten, dann kann ich damit leben. Es geht immer darum, dass die Firmen Erträge erzielen, dass der Cashflow stimmt und dass man Umsatzwachstum sehen kann. Daher nehmen wir eine gründliche Due-Diligence-Prüfung aus einer Bottom-up-Perspektive vor. Wichtig ist natürlich auch die Bewertung der Firmen an der Börse, und da sieht es für Small und Mid Caps im Moment sehr gut aus.
Eine steile These. Wie begründen Sie das?
Lanphier: Weil zum ersten Mal seit vielen Jahren das erwartete Gewinnwachstum kleinerer Unternehmen im Jahr 2025 höher sein wird als das der großen Unternehmen. Das ist übrigens allgemeiner Konsens, nicht nur unsere Einschätzung. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Viele Small-Cap-Unternehmen hatten in den vergangenen Jahren mit schrumpfenden Gewinnen zu kämpfen. Daraus folgt mehr oder weniger zwangsläufig, dass ihr Gewinn nun steigt. Large Caps hingegen hatten ein außerordentliches, noch nie dagewesenes und nicht nachhaltiges Ertragswachstum, das sich nun ein wenig zu normalisieren beginnt. Dazu kommen noch weitere Gründe.
Die Sie mir nennen werden…
Lanphier: Schauen Sie sich das Marktverhalten in vergangenen Perioden seit 1954 an, wenn die Federal Reserve wie nun kürzlich die Zinsen senkte. Die kleineren Unternehmen haben über mindestens ein Jahr besser performt als die großen. Dieses historische Verhalten ist also sehr konsistent. Schließlich spricht auch das Onshoring für die kleineren Firmen – das übersehen viele Marktteilnehmer.
Was meinen Sie damit?
Lanphier: Onshoring meint, dass multinationale Unternehmen Dienstleistungen und Lieferketten in die USA zurückholen. Das wirkt sich auch auf die kleineren Firmen aus, die verstärkt Teil dieser Ketten werden.
Wir danken für das Gespräch. (jb)