Aktienmarkt: Höhenflug in Schieflage
An der Wall Street treiben vor allem einige Tech-Giganten die wichtigsten Aktienindizes, in Europa waren es bis vor Kurzem die Luxusmarken. Der Boom der Börsen-Schwergewichte stellt aktive Manager vor Herausforderungen.
Seit dem Zwischentief Mitte März hat der US-Aktienindex S&P 500 rund sieben Prozent zugelegt. Getrieben wird der Aktienmarkt aber vor allem von einer Handvoll Tech-Riesen, die im vergangenen Jahr noch abgestraft wurden. Seit Jahresanfang haben die fünf Big Techs Alphabet, Amazon, Apple, Meta und Microsoft jeweils mindestens 30 Prozent an Wert gewonnen, die Meta-Aktie hat sich dabei gar mehr als verdoppelt. Axel Botte, Leiter der Marktstrategie bei Ostrum Asset Management, konstatiert: "In der aktuellen Rally haben sich die Bewertungen der großen Technologiewerte auf frühere zyklische Höchststände erholt."
Wie ungleich die Aktienrally bislang verläuft, zeigt nicht nur der Vergleich der großen Technologieaktien mit dem S&P-500-Index, sondern auch ein Blick auf den US-Small-Cap-Index Russell 2000. Der Nebenwerteindex, dessen gesamte Marktkapitalisierung geringer ist als die von Apple, ist seit Jahresbeginn kaum über die Nulllinie geklettert.
KI verleiht US-Tech-Branche neuen Auftrieb
Der Kursanstieg der Technologieriesen stellt auch aktive Manager vor Herausforderungen. Wenn wenige große Aktienwerte einen überdurchschnittlichen Beitrag zur Gesamtmarktperformance leisten, wird es für die oft auf kleinere Titel spezialisierten Fondsmanager schwierig, den Index zu übertreffen. Botte glaubt zudem, Analysten und Fondsmanager könnten aufgrund der gestiegenen Bewertungen den Schalter umlegen und die zuletzt gut gelaufenen Schwergewichte untergewichten. Das hält er für einen Fehler, denn die Rally bei den Megatechnologien ist seiner Meinung nach weit mehr als eine technische Gegenreaktion nach dem Abschwung des vorigen Jahres: "Mit dem Thema künstliche Intelligenz hat die Performance der US-Tech-Branche, von Halbleitern bis hin zu Software, einen wichtigen neuen Treiber bekommen."
Was Big Tech in den USA, ist in Europa die Luxusbranche
Wie im S&P 500 dominieren auch im Euro Stoxx 50 einige Schwergewichte: "Die 20 bedeutendsten Aktien im Euro-Stoxx-Index stehen für 55 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung der insgesamt 600 Unternehmen", so Mario Montagnani, Investmentstratege bei Vontobel Asset Management. Dazu zählen in Europa unter anderem die Top-Luxusmarken wie LVMH, Hermès oder L’Oréal. Gerade sie profitierten in den vergangenen Monaten von der chinesischen Wiedereröffnung. So erzielt etwa LVMH mit seinen Marken Louis Vuitton, Christian Dior und Fendi den Großteil seines Umsatzwachstums in den Bereichen Mode und Lederwaren mit chinesischer Kundschaft. Seit Jahresbeginn legte die LVMH-Aktie in der Spitze um knapp 30 Prozent zu, Hermès gar um 36 Prozent. So wiederholte sich auch in Europa das Muster, dass nur wenige Aktiensegmente deutlich zulegen und den Index mitziehen. Mit den Kursen stiegen die Bewertungen der Luxusaktien weit über die Bewertung des gesamten Euro-Stoxx-50-Index.
Anders als die US-Big-Tech-Werte verloren aber die europäischen Luxusaktien in den vergangenen Tagen deutlich an Zugkraft. Als Gründe für den jüngsten Einbruch nennt Montagnani neben den enttäuschenden Wachstumszahlen aus China die deutlich gestiegenen Bewertungen des Luxussegments sowie Gewinnmitnahmen nach den guten Quartalszahlen. "Die chinesische Konjunkturerholung ist, gelinde gesagt, mäßig", sagt auch Ostrum-Experte Botte, wenngleich sich der Konsum davon bislang abkoppeln konnte.
Kehrseite: Zahlreiche Marktsegmente sind günstig bewertet
Montagnani meint: "Die Jahresperformance sowohl in den USA als auch in Europa ist atemberaubend, aber wenn man genauer hinsieht, wurde sie von einer sehr begrenzten Anzahl von Aktien erzielt, weniger als fünf in den USA und weniger als 20 in Europa." Hinsichtlich der Frage, ob das Glas nun halb voll oder halb leer ist, verweist Montagnani auf die Bewertungen: Zwar hätten große Teile des Aktienmarktes nicht zulegen können, in der Folge seien aber auch die Bewertungen hier immer noch sehr attraktiv. Er hält das Glas daher eher für halb voll. (jh)