"Was für ein Jahr 2022", leitete Star-Journalist Armin Wolf die traditionelle Eröffnungsdiskussion am zweiten Tag des FONDS professionell KONGRESSES in Wien ein. Die Besucher durften zurecht wieder eine hochkarätige Gesprächsrunde auf der Bühne erwarten: Bereits zum neunten Mal stellten sich Top-Experten der Finanzbranche den Fragen des prominenten und vielfach ausgezeichneten Journalisten Armin Wolf.

Was die Diskussionsteilnehmer im abgelaufenen Jahr überrascht hatte, wollte Wolf in der Aufwärmrunde eingangs wissen. Woraufhin Christine Dornaus, Vorstandsdirektorin der Wiener Städtischen Versicherung, einen positiven Zugang zu den heiklen Themen versuchte: "Sehen wir es mal positiv, es wird warm, der Frühling ist da." Das ließ Wolf freilich nicht gelten: "Tut mir leid, wenn ich Sie schon am Anfang unterbrechen muss. Aber das war nicht meine Frage", so der Journalist in seiner gewohnt eloquenten Weise. Dornaus berichtete daraufhin, dass es sie durchaus überrascht hatte, wie schnell die Energiepreise wieder gesunken sind.

DJE-Vorstand Ulrich Kaffarnik hatte wiederum die währungsbereinigte Outperformance in Europa nicht erwartet. Top-DWS-Fondsmanager Thomas Schüßler hatte nicht erwartet, wie hoch die Zinsen steigen können, ohne eine ernsthafte Krise auszulösen. Und Philipp Vorndran, Kapitalmarktstratege von Flossbach von Storch, überrascht der Optimismus vieler Marktteilnehmer, dass die Zinsen bald wieder sinken werden. Er sieht 2022 als eine Art Weckruf, bei dem viele verdrängte Probleme ans Tageslicht kamen, und hofft auf eine Zeitenwende.

Stagflation voraus?
Ob die derzeitige Marktsituation in eine Stagflation enden werde, wollte Wolf weiter wissen. Das glaubt Kaffarnik nicht. Er denkt, dass sich viele Probleme, wie etwa der Lieferkettenengpass nach Corona, inzwischen wieder entspannen. Die derzeitige Inflation sei eine verspätete Reaktion auf die Notenbankpolitik. Er glaubt, dass sich die Inflation bei drei bis vier Prozent einpendeln werde und sieht kein Szenario wie in den 70er Jahren. "Da wäre ich mir aber nicht so sicher", wirft Schüßler ein. Zwar gebe es einige Zutaten für eine sinkende Inflation, wie den derzeitigen Arbeits- oder Rohstoffmarkt. "Wenn sich das aber wieder ändert, dann sind wir wieder in den 70er Jahren", ist Schüßler überzeugt.

Das sieht auch Vorndran ähnlich: "Da bin ich ganz bei Herrn Schüßler." Er sehe allerdings andere Treiber für die Inflation, wie etwa die Demografie, Deglobalisierung oder die Dekarbonisierung. Er erwartet bis zum Jahresende eine Preissteigerung von etwa fünf Prozent, langfristig seien es 4,5 Prozent. Dornaus, die betont, dass ihr Unternehmen bei Investments einen langfristigeren Zeithorizont verfolgt, sieht es ebenso. Vier bis fünf Prozent Inflation seien bis Jahresende denkbar.

Fünf Prozent Zinsen: Ein realistisches Szenario?
Für Dornaus stellt die aktuelle Zinswende jedenfalls eine Normalisierung der Zinswelt dar. "Die Negativzinsen, die waren keine normale Entwicklung", sagt die Vorstandsdirektorin. Fünf Prozent Zinsen wäre der höchste Zinssatz seit Bestehen der Europäischen Zentralbank (EZB), wirft Wolf ein. Ob die Diskutanten den Zinssatz für realistisch halten? Vorndran glaubt, dass sich die Zinskurve bei fünf Prozent normalisieren wird. Kaffarnik glaubt seinerseits an keine fünf Prozent.

Fest steht, dass hohe Zinsen schlecht für den Aktienmarkt sind, darin sind sich die Profis auf dem Podium einig. Vorndran berichtet, dass er und sein Team sich daher bei der Aktienwahl auf Geschäftsmodelle konzentrieren, die auch in zehn Jahren noch funktionieren sollten, und nennt hier etwa den Technologiesektor. Für Kaffarnik sind derzeit zweijährige US-Treasurys vielversprechend, aber auch bestimmte Technologiewerte seien interessant. Und Schüßler mahnt dazu, sich wegen der ungewissen Zukunft möglichst breit aufzustellen. Der Finanzsektor etwa sollte von den steigenden Zinsen profitieren. (cf)