FONDS professionell Österreich, Ausgabe 4/2022

Oh ja! Wenn Sie heute beschließen, dass Sie im Alter einmal 50.000 Euro benöti- gen, dann wollen Sie in 30 oder 35 Jahren nicht nur diese 50.000 Euro haben. Sie wollen viel mehr den Lifestyle haben, der heute mit 50.000 Euro möglich ist, denn den sind Sie gewohnt. Daher werden die Auszahlungen der Selfie-Bonds an den jeweiligen Konsumausgabenindex ange- passt. Der beinhaltet dann zwei Dinge: erstens die Inflation und zweitens eine Anpassung an den allgemeinen Lebens- standard im jeweiligen Land. Wo kaufen die Menschen die Selfies? Die Idee ist, dass man Selfies ohne Provi- sion bei einem staatlichen Büro kauft. Einen Berater benötigen Sie dafür nicht. Gerade Menschen, die im informellen Sektor arbeiten, haben oft nur wenig Geld, daher dürfen wir sie nicht mit hohen Provisionen oder Beratungsgebühren be- lasten. Das Gute ist: Sie können selbst ent- scheiden, wann Sie sie kaufen. Wenn Sie jetzt als Selbstständiger gut verdienen, dann kaufen Sie sie jetzt. Wenn Sie jetzt mit Ihrem Verdienst eine große Familie ver- sorgen müssen, kaufen Sie sie später. Warum sollten Selfies vomStaat ausgege- ben werden und nicht von einer privaten Stelle? Im Prinzip könnte auch der Privatsektor Selfies mit dem entsprechenden Auszah- lungsprofil ausgeben. Aber im Regelfall vertrauen die Menschen der Bonität ihres Staates mehr als privaten Unternehmen. Den Staat wird es in 30 Jahren noch geben, und er wird zahlen können. Ein weiterer Vorteil: Sie benötigen nicht zig Seiten mit Risikoaufklärungen über das Bonitätsrisiko der ausgebenden Stelle. In jedem Land, das ich kenne, entbindet die Aufsichtsbehörde den eigenen Staat von umfangreichen Risi- kodarstellungen bei der Ausgabe von Wert- papieren. Oder wie ist das, wenn Sie in Ös- terreich Ihre staatliche Rente abschließen? Erhalten Sie dann einen Risikohinweis, dass es später womöglich Schwierigkeiten mit der Zahlung geben könnte? Dass die Renteneinnahmen oder die Steuereinnahmen niedriger als heute sein könnten? Können Menschen nur Selfies ihres eige- nen Landes kaufen? Selfies sind Assets. Sie sind frei handelbar. Jeder kann jedes Selfie kaufen, genauso wie Sie als Deutsche auch US-Treasury-Bonds kaufen können. Sie können in einem anderen Land in 30 Jahren natürlich ganz andere Konsumausgaben oder eine andere Inflationsrate haben als im Heimatland. Wenn Sie beispielsweise Ihren Lebens- abend in Spanien verbringen möchten, dann kaufen Sie – sobald Sie das wissen – spanische Selfies. Gibt es schon Länder, die Selfies nach Ihrer Idee ausgeben? Einige Länder haben mich bereits kontak- tiert und wollten mehr über die Idee erfah- ren. Im Prinzip kann jedes Land Selfies ein- führen, auch in abgewandelter Form; ich habe da kein Patent drauf. Ein Land, mit dem ich vorher kaum etwas zu tun hatte, ist offenbar kurz davor, Selfies einzuführen: Brasilien. Dort wurde bereits ein akade- misches Papier dazu veröffentlicht und die dortige Presse hat geschrieben, dass Selfies noch 2022 eingeführt werden sollen. Vielen Dank für das Gespräch! ANKE DEMBOWSKI FP KURZ-VITA: Robert Merton Robert Merton, Jahrgang 1944, arbeitete als Professor für Ökonomie an der MIT Sloan School of Management und der Harvard University. Gemeinsam mit Myron Scholes und Fischer Black entwickelte er Methoden zur Bewertung von Aktienoptionen, bekannt als Black-Scholes-Modell. 1997 wurde das Trio dafür im Rahmen der Nobelpreisverleihung gewürdigt. Heute befasst sich Merton schwerpunktmäßig mit dem Thema Altersvorsorge. » Die Auszahlungen der Selfie-Bonds werden an den jeweiligen Konsumausgabenindex angepasst. « Robert Merton, MIT Sloan School FOTO: © CHRISTIAN FLEMMING FONDS & VERSICHERUNG Robert Merton | MIT Sloan School of Management 194 fondsprofessionell.at 4/2022

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