FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2022

Was erwarten Sie? Ich verfüge natürlich auch nicht über die berühmte Kristallkugel. Aber eine Situa- tion, wie ich sie gerade beschrieben habe, würde zu einem echten Test für die Fed werden hinsichtlich der Frage, wie ernst sie es mit ihrem skizzierten geldpolitischen Kurs meint. Bisher zeigt sie sich durchaus entschlossen, was ihr oberstes Ziel der In- flationsbekämpfung angeht.Die Erfahrung lehrt uns aber auch, dass die Notenbanker in den USA ihren Kurs auch schnell ein- mal ändern, wenn sie es für erforderlich halten. Sollte sich also die US-Wirtschaft so stark verschlechtern, wie das von manchen Marktbeobachtern erwartet wird, würde die Fed wohl zumindest eine Pause ma- chen und weitere Maßnahmen zunächst einmal auf Eis legen. ImMoment ist ohne- hin alles ein Wettlauf gegen die Zeit. Die wesentliche Frage ist doch, wo eigent- lich der Kipppunkt liegt, an dem höhere Zinssätze dasWachstumso stark belasten, dass der eigentliche Zweck, die Eindäm- mung der Inflation, vereitelt wird. Wenn man die Inflation wirksam bekämp- fen will, muss der kurzfristige Zinssatz hö- her sein als die durchschnittliche Inflation, die man erwartet. Wenn wir in dieser Beziehung wie erwähnt eine Range von drei bis vier Prozent erwarten,müssten also die kurzfristigen Zinssätze in den USA über drei Prozent liegen. So weit sind wir noch nicht, aber erst dann würde die Infla- tion mit Sicherheit niedriger ausfallen.Wir wären dann aber auch mit einem deutlich niedrigeren Wachstum, eventuell sogar einer rezessiven Phase konfrontiert. Die Herstellung eines solchen Gleichgewichts zwischen einer annehmbaren Teuerungs- rate bei gleichzeitiger Verhinderung eines möglichen wirtschaftlichen Schadens ist das eigentlich komplexe Problem, vor dem die Geldpolitik steht.Hinzu kommt: Geld- politische Maßnahmen greifen in aller Regel nicht sofort, ihre Wirkung wird erst nach und nach erkennbar. Das wiederum impliziert, dass es zu gravierenden Fehlern kommen kann. Daher sind die nächsten beiden Quartale von enormer Bedeutung, weil wir erst danach wissen werden, ob die von der EZB oder der Fed getroffenen Maßnahmen wirklich zielführend waren. Wie hat sich Ihr Haus vor diesem Hinter- grund aufgestellt? Wir waren bei Spread- und High-Yield- Anlagen übergewichtet und haben diese Positionen im vergangenen Monat erheb- lich reduziert. Inzwischen sind wir in die- sen Bereichen neutral aufgestellt, ähnlich der Benchmark. Auch in Bezug auf die Zinsduration waren wir deutlich unter- gewichtet. In einem Anleihenmarkt wie den USA könnte es bei einem Zins von drei Prozent für zehnjährige Anleihen durchaus wieder attraktiv werden, lang- fristige Schuldtitel zuzukaufen. So weit sind wir aber noch nicht, deshalb warten wir ab und behalten unsere Untergewichtung noch bei. Und in Bezug auf die Aktienmärkte? Wir sind nach wie vor stark untergewichtet inWachstums- und Technologietiteln, auch bei zyklischen Werten halten wir uns noch zurück. Eine Übergewichtung halten wir in Qualitäts- und Substanzwerten wie Ver- sorgern, Banken und Basiskonsumgütern, vorzugsweise in Europa und den USA. Un- ser Risikobudget haben wir etwas reduziert und zusätzlich eine Reihe von Absiche- rungsinstrumenten zugekauft. Und das aus gutem Grund: Denn am Ende weiß man in unserem Geschäft nie, von wo der nächste schwarze Schwan auftauchen wird. Vielen Dank für das Gespräch. HANS HEUSER FP KURZ-VITA: Vincent Mortier Nach seinem Studium an der renommierten ESCP Business School begann für Vincent Mortier ein 17 Jahre dauernder unaufhaltsamer Aufstieg innerhalb des Finanzkonzerns Société Générale. Seit 2015 steht er in Diensten von Amundi, im Februar wurde er zum Chief Investment Officer ernannt. » Am Ende weiß man in unserem Geschäft nie, von wo der nächste schwarze Schwan auftauchen wird. « Vincent Mortier, Amundi fondsprofessionell.at 2/2022 145

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