FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2022

Ja, aber dabei geraten leicht die gesamtgesellschaftlichen Konse- quenzen aus dem Blick. Wenn es beispielsweise um die Ver- sorgung mit Nahrungsmitteln geht, ist es problematisch, nur auf den Profit zu achten. Wie anfällig solche Systeme sind, zeigt sich aktuell deutlich, wenn die Lieferketten plötzlich nicht mehr so reibungslos funktionie- ren wie sonst. Die Professionali- tät unter den Aktionären mag über die vergangenen Jahre deutlich zugenommen haben, aber die Meinungsvielfalt ging verloren. Daran sind natürlich nicht primär die ETF-Anleger schuld. Aber eine gewisse Tritt- brettfahrermentalität darf man ihnen schon unterstellen. Sie sagten, viele Anleger wür- den ETFs unreflektiert einset- zen. Ein ETF ermöglicht es, mit einem Investment breit diversifi- ziert und günstig einen gesam- ten Markt abzudecken. Das klingt doch nach einer durchdachten Entscheidung. Erst einmal schon. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass sich immer nur das Einzeltitel- risiko wegdiversifizieren lässt, nicht aber das Marktrisiko.Darum ist weiterhin ein Risiko- management nötig. Viele Anleger meinen, mit ETFs seien sie auf der sicheren Seite, dem ist allerdings nicht so. Aktuell neh- men die Risiken an den Börsen zu, bei- spielsweise wegen der hohen Inflation und der steigenden Zinsen. Privatanleger, die in einer solcher Situation beim ETF-Kauf auf eine fundierte Beratung verzichten, agieren eher leichtfertig. Ein anderer Punkt ist die Zusammensetzung der Indizes.Wer aktuell in den MSCI World investiert, legt sein Geld nicht wirklich global diversifiziert an, sondern er setzt zu zwei Dritteln auf US- Aktien. Wie riskant das ist, zeigt ein Blick zurück: Ende der 1980er-Jahre dominierten japanische Aktien den globalen Aktien- markt, sie standen in der Spitze für 44 Pro- zent des MSCI World. Der Nikkei 225, der Leitindex der Tokioter Börse, hat sein Ende 1989 verzeichnetes Hoch erst jüngst wieder erreicht, und das auch nur, wenn man die Dividenden berücksichtigt. Damals stand er bei knapp 39.000 Punkten, danach ging es jahrelang unter großen Schwankungen runter bis auf unter 10.000 Zähler.Hätte es damals schon ETFs auf den MSCI World gegeben, hätten die Anleger diese Ent- wicklung in Japan schmerzhaft zu spüren bekommen. Ein Grundproblem dürfte sein, dass die großen Indizes nicht als Grundlage für Investments ent- wickelt wurden, sondern schlicht als Indikator für die Marktent- wicklung. Dem kann ich nur zustimmen. Wer einen ETF auf die bekann- ten Indizes kauft, investiert in die Firmen, die in der Vergangen- heit eine gute Performance auf- wiesen. Das hat nichts mit einer analytischen, zukunftsgerichte- ten Anlageentscheidung zu tun. Die Branche hat auf diese Kritik reagiert. Es gibt immer mehr Indizes, die tatsächlich nach den Wünschen der Investoren ent- wickelt wurden, etwa was die Gewichtung der Einzeltitel oder die thematische Ausrichtung be- trifft. Sind entsprechende ETFs die bessereWahl? Sie sind für Investments auf jeden Fall besser geeignet als die klassischen Indizes, die lediglich einen Markt abbilden sollen und historisch auch nach sehr unterschiedlichen, kaum vergleichbaren statischen Konzepten ent- wickelt wurden. Wichtig ist aber, den Prozess zu kennen, mit dem die Einzeltitel für den Index ausgewählt werden.Hält das Verfahren tatsächlich das, was der Anleger sich davon verspricht? Der ETF nimmt dem Einzelnen nicht die Verantwortung für seine Investments ab. Ein gutes Beispiel ist die Orientierung an ESG-Noten, die je nach Ratinganbieter zu völlig unterschied- lichen Ergebnissen für ein und dasselbe Unternehmen kommen können. Klar ist auch, dass es zum Produktversprechen eines ETFs gehört, preiswert zu sein. Die Arbeit eines qualifizierten, gut bezahlten Analyse- teams lässt sich damit nicht ersetzen. Vielen Dank für das Gespräch. BERND MIKOSCH FP » Die Professionalität unter den Aktio- nären mag über die vergangenen Jahre deutlich zugenommen haben, aber die Meinungsvielfalt ging verloren. « Detlev Hummel, Universität Potsdam KURZ-VITA: Detlev Hummel Jahrgang 1954, studierte und promovierte an der Humboldt- Universität zu Berlin. Nach seiner 1990 erfolgten Habilita- tion über Finanzmärkte in Berlin und Stuttgart lehrte er zunächst in Baden-Württemberg. 1996 trat er seine Profes- sur für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Finanzierung und Banken an der Universität Potsdam an. fondsprofessionell.at 2/2022 107

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