FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2021

Thomas Mayer, Gründungsdirektor und Leiter des Flossbach von Storch Research Institutes in Köln, erklärt im Interview, warum es keinen Sinn ergibt, die Zukunft mit mathematischen Modellen berechnen und jedes Risiko absichern zu wollen. D er Blick aus der 26. Etage des Köln- Triangles, des zweithöchsten Hoch- hauses im rechtsrheinischen Teil der Dom- stadt, ist gigantisch. Thomas Mayer hat im Meeting-Raum vor der ausladenden Fens- terfront Platz genommen. Er ist Grün- dungsdirektor und Leiter des 2014 aus der Taufe gehobenen Flossbach von Storch Research Institutes. Mayer gilt als Mann, der sich nicht scheut, unbequeme Positio- nen zu vertreten. Dies tut er auch in sei- nem Buch „Die Vermessung des Unbe- kannten – Ein Essay über Geld und Gesell- schaft in Zeiten radikaler Unsicherheit“, das im Juni 2021 erschienen ist. Im Interview mit FONDS professionell erläutert Mayer seine wesentlichen Thesen. Der Titel Ihres neuen Buchs „Die Ver- messung des Unbekannten“ lässt an den Roman von Daniel Kehlmann „Die Vermes- sung derWelt“ denken. Ist IhrWerk, das Sie bescheiden „Essay“ nennen, von diesem Roman inspiriert? Thomas Mayer: Ja, gleich der erste Satz des ersten Kapitels beginnt mit dem Verweis auf Kehlmanns Buch. Ich fand es faszinie- rend, wie der Mathematiker Carl Friedrich Gauß und der Empiriker Alexander von Humboldt losziehen, um die Welt zu ver- messen. Das funktioniert ja gut, wenn man das vermisst, was bereits da ist. Aber wenn man sich die Frage stellt, was die Zukunft bringen wird, dann bekommt man mit der Methode der Vermessung Schwierigkeiten. Übrigens habe ich das erste Kapitel unter die Überschrift „Die dunkle Seite des Mondes“gestellt.Denn darum geht es mir: Um das, was man nicht sehen kann. Die Überschrift ist aber auch meine persön- liche Hommage an Pink Floyd. Was hat Sie dazu bewogen, das Buch zu schreiben? Ehrlich gesagt hat mir auf der rein prakti- schen Seite die Tätigkeit im Homeoffice den Anstoß gegeben, die mir mehr Zeit zumDenken und Schreiben verschafft hat. Mit dem Problem, die Zukunft zu ergrün- den, beschäftige ich mich aber schon sehr lange. Beinahe über vier Jahrzehnte habe ich mich mit Prognosen für die Wirtschaft und die Finanzmärkte abgemüht. Dabei sind viele Papiere zusammengekommen. Mein Essay ist jetzt der Rundumschlag. Sie unterscheiden darin zwischen dem „bekannten Unbekannten“ und dem „unbe- kannten Unbekannten“. Können Sie die beiden Begriffe bitte erläutern? Die beiden Begriffe stammen von dem kürzlich verstorbenen ehemaligen US- Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Er differenzierte zwischen „known un- kowns“ und „unknown unknowns“. Man könnte ebenso sagen: teilweise und voll- ständige Unsicherheit. In der ökonomi- schen Wissenschaft spricht man auch von „radikaler Unsicherheit“. Das klingt kompliziert.Wo genau liegt denn der Unterschied? Das ist gar nicht kompliziert. Von einem Ereignis, das sich unter den Begriff „be- kanntes Unbekanntes“ einstufen lässt, wis- sen wir heute schon, dass es irgendwann in der Zukunft eintreten könnte. Von einer Entwicklung, die unter das „unbekannte Unbekannte“ fällt, ahnen wir heute noch gar nichts. Das ist der Unterschied. Nehmen wir als Beispiel einmal die Coro- na-Pandemie: Zu welcher der beiden Kate- gorien von Unbekanntem gehört sie? Für viele Experten aus Wissenschaft und „Das Unbekannte lässt sich nicht vermessen“ FOTOS: © CORNELIS GOLLHARDT 104 fondsprofessionell.at 3/2021 MARKT & STRATEGIE Thomas Mayer | Flossbach von Storch

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