FONDS professionell Österreich, Ausgabe 3/2020

Das 38 Milliarden Euro schwere Corona-Paket der Regierung war gut, aber man darf den Ausstieg aus den Hilfen nicht verpassen, sagt IHS-Chef Martin Kocher. Sein Wort hat politisches Gewicht: Kocher ist seit Kurzem auch Vorsitzender im Fiskalrat . I mMärz und April brach die österreichi- sche Wirtschaftsleistung in manchen Wochen um über ein Viertel ein. Diese Akutphase ist überwunden.Doch während die Politik mit der Krisenbewältigung beschäftigt ist, rücken wichtige strategische Ziele aus dem Fokus,warnt Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS) und seit Juni auch Präsident des Fiskalrates, der die Einhaltung der EU- Haushaltsregeln in Österreich überwacht. Herr Kocher, wie geht’s Österreich? Die Er- holung verlangsamt sich, die Einkaufsma- nager sind aber zuversichtlich. Können Sie imDatendschungel einen Überblick geben? Martin Kocher: Es stimmt, wir sind in einer recht unsicheren Situation. Eigentlich ste- hen wir wieder ganz gut da. Eventbranche, Gastronomie, Tourismus haben zwar in vielen Regionen Schwierigkeiten, in vielen anderen Sektoren zeigen die Zahlen aber eine Normalisierung. Die meisten kurzfris- tigen Indikatoren sagen, dass wir auf wö- chentlicher Basis noch fünf Prozent unter der wirtschaftlichen Leistung im Vergleich zum Vorjahr sind. Ein BIP-Einbruch um rund sieben Prozent ist 2020 relativ fix. Dieses Jahr ist gelaufen. Die große Frage ist nächstes Jahr. Wie schaut’s da aus? Wir rechnen im Moment mit dem Szena- rio, dass es keinen großen Lockdown mehr gibt. Wenn das so kommt, dann erwarten wir ein starkes Wachstum von fünf Pro- zent. Vielleicht mehr. Die Wirtschafts- leistung würde dann sogar Ende 2021, An- fang 2022 das Vorkrisenniveau erreichen. Allerdings sind auch pessimistischere Sze- narien nicht unrealistisch: Die Impfstoff- entwicklung dauert länger, es gibt doch einen Lockdown; da sind es gleich einige Jahre, bis wir wieder auf dem Vorkrisen- niveau wären. Sie haben zu Beginn das 38 Milliarden- Euro-Hilfspaket der Regierung gelobt. Wie sehen Sie es jetzt mit zeitlichem Abstand? Wurden die Hilfen gut eingesetzt? Die Maßnahmen waren in groben Zügen europaweit recht ähnlich. Und sie wurden von Politikern von links bis rechts und von den meisten Ökonomen befürwortet.Man kann über Ausgestaltung und Dauer disku- tieren, aber grundsätzlich war die Reaktion gut und schnell. Bei der Abwicklung gab’s Herausforderungen. Im Moment schaut’s aber so aus, als ob das erste Ziel, Unter- nehmensinsolvenzen zu vermeiden, er- reicht wurde. Wir haben eine geringere Insolvenzrate als letztes Jahr. Einige Experten begrüßen die Krise fast als Chance, weil da die Schumpeter’sche „schöpferische Zerstörung“ walten kann. Wie berechtigt sind solche Aussagen? ImMoment eher deplatziert.Nicht weil sie grundsätzlich falsch wären, sondern weil sie ein Argument bringen, das für „normale Rezessionen“ gilt. In Konjunkturtiefs ist es ganz normal, dass weniger resiliente Unter- nehmen aus dem Markt ausscheiden und so Ressourcen frei werden für neue Unter- nehmen. Aber in einer Krise, wo viele un- verschuldet in Schwierigkeiten kommen, halte ich das nicht für angebracht. Nichts- destotrotz ist es wichtig, im Kopf zu behal- ten, dass die bereitgestellte Liquidität dazu „Den Verteilungskonflikt kann man nicht wegreden“ » Dieses Jahr ist gelaufen. Die große Frage ist nächstes Jahr. « Prof. Martin Kocher, IHS MARKT & STRATEGIE Prof. Martin Kocher | IHS FOTO: © GÜNTER MENZL 138 fondsprofessionell.at 3/2020

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