FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2020

A ls in den ersten Märztagen die WKO- Mitglieder aufgerufen waren, ihre gesetzlichen Vertreter für die kommen- den fünf Jahre zu wählen, gab nur ein ernüch- ternd geringer Anteil von 33,7 Prozent seine Stimme ab. In diesem Fall lag dies nicht an der Coronakrise, denn Ausgangsbeschränkun- gen waren zu der Zeit kein Thema. Der Hauptgrund für den Boykott des Urnengangs liegt für Vertreter unterschiedlicher politischer Couleurs an anderer Stelle: ein extrem intrans- parenter Wahlprozess, bei dem hinter den Ku- lissen Stimmen verschoben und angeblich so- gar verkauft werden und bei dem nur ein klei- ner Anteil der Funktionäre direkt gewählt wer- den kann. Dies sorgt seit Langem für Resi- gnation bei einem Publikum, das jünger wird und sich mehr Mitsprache erwartet – auch im Bereich der Finanzvermittler ist der Unmut unüberhörbar. Einheitslisten Anlass zum Verdruss gaben unter anderem der schwarze Wirtschaftsbund (ÖWB) und der rote Sozialdemokratische Wirtschaftsver- band (SWV). Sie traten in etlichen Fachorga- nisationen als gemeinsame Liste an – etwa in Wien bei den Finanzdienstleistern, den Versi- cherungsmaklern und den Versicherungsagen- ten. Die kleinere Konkurrenz beschwerte sich heftig. „Undemokratisch – nicht einmal die Basis wurde informiert“, kritisierte das unab- hängige Wirtschaftsforum. „Viele fragen sich, warum soll ich zur Wahl gehen, wenn alles schon vorher abgemacht ist?“, bemängelte der grüne Kandidat und Vermögensberater Christian Faulmann. Hinter dem Zusammen- schluss steht nämlich folgender Deal: Sämtli- che Stimmen der schwarz-roten Einheitsliste darf sich der WB anrechnen. Die in Österreich mächtige ÖVP-Wirtschaftsfraktion kann da- mit kaschieren, dass sie in Wien schwächelt. Optisch ist die Anrechnung beimWB für den SWV ein Nachteil – machttechnisch hingegen nicht: Im Gegenzug überlassen die Schwarzen den Roten Ämter und Funktionen in den höheren Kammerorganen, wie SWV-Präsi- dent Christoph Matznetter bestätigt. Möglichkeiten, Posten zu vergeben, beste- hen genug. Denn nach der Wahl werden alle wichtigen politischen Funktionen indirekt be- setzt: vom Fachverbandsobmann und den Spartenobleuten aufwärts über die Sitze in den Wirtschaftsparlamenten bis hin zu den Präsi- Einheitslisten, Stimmenschacher, Urnenboykott: Nach den Wirtschaftskammer- wahlen ringt die Organisation um Glaubwürdigkeit. Die Coronakrise verstärkt das. Wahl -Verstimmung Nur noch ein Drittel der Unternehmer hat im März bei den alle fünf Jahre stattfindenden WKO-Wahlen seine Stimme abgegeben. 2010 waren es nur ein wenig mehr. Viele werden von den Abläufen im Hintergrund abgeschreckt. » Viele fragen sich, warum soll ich zur Wahl gehen, wenn alles schon vorher abgemacht ist? « Christian Faulmann, Vermögensberater Die Wirtschaftskammer (WKO) – „Wahnsinnig“ „Komplizierte“ „Organisation“ Die Wirtschaftskammer gibt es zehn Mal: • Wirtschaftskammer Österreich (WKO) • Neun Wirtschaftskammern in den Bundesländern, die jeweils die volle Struktur abbilden ( Sparten, Fach- organisationen, Präsidien, Wirtschaftsparlamente) SPARTEN: WKO und jede der neun Länderkammern gliedern sich in sieben Sparten : Gewerbe/Handwerk, Industrie, Handel, Bank/Versicherung, Transport/ Verkehr, Tourismus/Freizeit, Information/Consulting. Die Sparten gliedern sich in Fachorganisationen . FACHORGANISATIONEN: heißen auf Landesebene Fachgruppen und auf Bundesebene (WKO) Fach- verbände : In der Sparte „Gewerbe und Handwerk“ heißen die Fachorganisationen Innungen . WAHLBESONDERHEIT: Die einzigen direkt gewählten Organe der Wirtschaftskammer sind die 857 Fachgrup- pen (Landesebene) – in der sogenannten Urwahl . Die Mitglieder aller höheren Organe werden hingegen auf Basis der Urwahlmandate indirekt bestimmt: Dazu zählen Fachverbandsausschüsse (=Bundesebene), sämtliche Spartenkonferenzen, Präsidien, erweiterte Präsidien und Wirtschaftsparlamente der Kammern. Die Kritik: Fachgruppen sind eher unpolitische Organe, man wählt den Vertreter, der fachlich gut ist. Das Votum manifestiert sich aber politisch nach ganz oben. Das sagen Beobachter: Berater von Kearney, die Reformvorschläge für die Kammer erarbeiten sollten, hielten inoffiziell fest: „Wir haben uns international umgesehen, um eine mit der WKO vergleichbare Organisation zu finden. Aber so etwas gibt es weltweit nur ein einziges Mal.“* Quelle: WKO, Redaktion, *Grüne Wirtschaft Foto: © Torsten Becker | stock.adobe.com 180 www.fondsprofessionell.at | 2/2020 vertrieb & praxis I wk-wahlen

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