FONDS professionell Österreich, Ausgabe 2/2020

Foto: © Manjit Jari | J.P. Morgan S eit rund einem Vierteljahrhundert erstellen die Spezialisten von J.P. Morgan Asset Management ihren Langfristausblick auf die Ertragserwartun- gen für die verschiedenen Segmente der internationalen Kapitalmärkte. Aber das, was sich in jüngster Zeit an den Kapital- märkten abgespielt hat, hatten offenbar auch die Experten des US-Hauses noch nicht erlebt. Sonst wäre es nicht zum ers- ten Mal innerhalb von 24 Jahren zu einer Aktualisierung der Prognose gekommen, die das Unternehmen in den „Long-Term Capital Market Assumptions“ zusammen- fasst. Wir haben mit Tilmann Galler, glo- baler Marktstratege des Unternehmens, über das Update gesprochen. Herr Galler, Ihre Gesellschaft sah sich durch die Entwicklungen seit Mitte Februar veranlasst, ihre Annahmen zur langfristigen Entwicklung der Kapital- märkte zu überarbeiten. Ist die Krise etwa so dramatisch, dass sie all ihre Pro- gnosen über den Haufen geworfen hat? Tilmann Galler: Man kann aus meiner Sicht schon von einer dramatischen Entwicklung sprechen, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten ereignet hat. Immerhin ging es ungemein rapide abwärts mit den Kursen an den internationalen Kapitalmärk- ten. Die Geschwindigkeit, in der die Notie- rungen nach unten gerauscht sind, haben wir nicht einmal in der Krise von 1987 erlebt. Und schon gar nicht in der Finanzkrise von 2008, als die Kurse sich zwar auch deutlich nach unten bewegt haben, aber über einen sehr viel längeren Zeitraum. Deshalb war die Zeit der vergangenen drei Monate schon ein- zigartig. Daher haben wir sicher nicht ohne Grund unsere Langfristerwartungen in Bezug auf die Kapitalmärkte überarbeitet, immerhin zum ersten Mal in den 24 Jahren, in denen wir unsere Long-Term Capital Market As- sumptions veröffentlichen – nicht zuletzt auch, weil uns sehr viele Fragen dazu von Seiten unserer Kunden erreicht haben. Viele Anleger waren von der Entwicklung einfach extrem verunsichert. Man muss aber auch sa- gen, dass die Krise unsere Prognosen vom November 2019 nicht komplett über den Hau- fen geworfen hat, wie Sie das ausdrücken. Das müssen Sie ein wenig erläutern. Was lässt Sie zuversichtlich bleiben? Wir wollten uns und unseren Kunden Klarheit darüber verschaffen, wie das neue Niveau der Kurse und ein aktuell doch extrem veränder- tes Umfeld sich in Bezug auf die Rendite- erwartungen über den Zehn- bis 15-Jahres- Horizont, den wir bei der Erarbeitung unseres Langzeitausblicks zugrunde legen, hinweg auswirken werden. Deshalb sind wir zunächst einmal Fragen nachgegangen, was diese Ver- änderungen zum Beispiel für die langfristigen Renditen im festverzinslichen Segment be- deuten werden. Aber auch die Frage, was die enorme Preisvolatilität, die wir erlebt haben, für die Aktienmärkte bedeutet und welche Verschiebungen sich bei alternativen Anlagen eventuell ergeben könnten, stand im Vorder- grund. Nicht zuletzt haben bei diesem Update Überlegungen eine Rolle gespielt, welche Konsequenzen die außergewöhnlichen Maß- nahmen von Seiten der Zentralbanken und der Politik eventuell mit sich bringen könnten. Aber eines zur Beruhigung: An unseren Basisannahmen haben wir zum jetzigen Zeitpunkt im Grunde nichts verändert. Das verwundert allerdings schon ein wenig. Immerhin sprechen viele Marktteilnehmer offen darüber, dass die Welt nach der Coronakrise eine an- dere sein wird. Sehen Sie das nicht so? Wir glauben durchaus, dass es durch die Krise zu erheblichen Veränderungen kom- men wird. Darauf kann ich gern später noch näher eingehen. Ich glaube aber auch, dass es zum jetzigen Zeitpunkt noch viel zu früh ist, valide und handfeste Aus- sagen über die im Nachgang der Krise zu erwartenden Veränderungen zu treffen. Anders gesagt: Die vollständige Neube- wertung der Annahmen in unserem Langfrist- ausblick wird eine Aufgabe sein, der wir uns in den kommenden Wochen und Monaten stellen müssen. Wir hatten Anfang Mai die ersten Meetings zur Erarbeitung des Lang- fristausblicks für 2021, den wir im November veröffentlichen werden. Dabei werden wir uns mit Sicherheit intensiv damit auseinander- setzen, welche längerfristigen Folgen die Krise haben wird und wie diese sich auswir- ken werden. Von daher hat sich wie gesagt an unseren Basisannahmen zu den heute abseh- baren Veränderungen in Wirtschaft und Ge- sellschaft zunächst einmal nichts verändert. Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir sogar noch davon aus, dass sich in dieser Beziehung auch unsere Long-Term Capital Market Assump- tions für 2021 nicht dramatisch unterscheiden werden von den im Ausblick auf 2020 ge- troffenen Annahmen. Denn aus unserer Sicht wird auch die Coronakrise trotz aller Verwer- fungen, über die man jetzt spekulieren könnte, eine zyklische Krise sein, die wenn überhaupt nur moderate strukturelle Veränderungen mit sich bringen wird. Sind Sie da nicht ein wenig zu optimis- tisch? Unter dem Eindruck der jüngsten Krise werden die Stimmen lauter, die von einer grundsätzlichen Veränderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgehen. Im Interview erklärt Tilmann Galler , globaler Marktstratege bei J.P. Morgan Asset Management , warum er diese Sichtweise nicht teilt. „Wir erleben zyklische, keine » An unseren Basis- annahmen zu den heute absehbaren Veränderungen in Wirt- schaft und Gesellschaft hat sich zunächst einmal nichts verändert. « Tilmann Galler, J.P. Morgan Asset Management markt & strategie I tilmann galler | j.p. morgan asset management 104 www.fondsprofessionell.at | 2/2020

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