FONDS professionell Österreich, Ausgabe 1/2020

Foto: © JKU Linz Teodoro Cocca, Johannes Kepler Universität Linz, im Interview „Der Zins ist der Preis für die Zeit“ Teodoro Cocca, Lehrstuhlinhaber für Wealth und Asset Management an der JKU Linz, erklärt im Gespräch mit FONDS professionell, welche Effekte Negativzinsen auf die Gesellschaft haben. Herr Cocca, Phasen, negativer Realzin- sen gab es oft. Nominelle Null- oder Negativzinsen sehen aber dramatischer aus. Gibt es einen Unterschied? Ein Unterschied ist, dass das im Rahmen einer massiven globalen expansiven Geld- politik stattfindet, die als Notmaßnahme be- gonnen hat, inzwischen aber zum permanen- ten Zustand mutiert ist. Das gab es in dieser Form in der modernen Zeitgeschichte als globales Phänomen noch nie. Wenn zudem selbst beim nominellen Zins ein Minus da- vorsteht, dann verändert sich in der Wahrneh- mung der Marktteilnehmer mehr, als wenn die Zinsen einfach nur tief sind. Ein nominell negativer Zins bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass die extremen geldpoliti- schen Maßnahmen nicht wirklich funktioniert haben, sonst könnte man diese ja wieder zurückfahren. Somit ist es mehr als gerecht- fertigt von einer historisch außergewöhn- lichen Situation zu sprechen. Früher hat es geheißen, Privatsparer unterschätzen den Zinseszinseffekt. Wird jetzt umgekehrt der fehlende Zinseszins auf sichere Anlagen unter- schätzt? Auch von Fachleuten? Sparen wird entmutigt, Konsum und Wirt- schaften auf Pump werden gefördert, die Zu- kunft wird heute verbraucht. Unternehmen und Investoren werden zu Fehlinvestitionen verleitet, politische Reformen werden entmu- tigt; das Geldvermögen wird entwertet, die Altersvorsorge zerstört. Es ergibt sich daraus ein Generationenkonflikt, da diese Effekte vor allem für die Jüngeren die größte negative Wirkung haben. Alles würde einen Sinn erge- ben, wenn der Stabilisierungseffekt der No- tenbankpolitik die negativen Folgen derselben überkompensiert. Doch die Geldpolitik wird nicht deshalb beibehalten, sondern weil wir da- von abhängig beziehungsweise gefangen sind. Seit Langem heißt es: „So tiefe Zinsen können kein Normalzustand sein.“ Was, wenn doch? In Lehrbüchern wird der Zins bei genauerer Betrachtung nicht etwa als Preis des Geldes, sondern als Preis für die Zeit betrachtet. Man spricht von der „Zeitpräferenz der Individuen“: Um investieren zu können, muss jemand eine Zeit lang auf Konsum verzichten, und die Belohnung dafür ist eben der Zins. Dieser Je- mand ist der Sparer. Diese „temporale Kapi- taltheorie“ für den Zinssatz ist auch heute noch gültig, wird von Notenbanken aber wenig beachtet. Ein negativer Zins bedeutet, dass Individuen eigentlich lieber später kon- sumieren als heute. Das verstößt aber gegen jegliches Axiom menschlichen Verhaltens. Der Wert der Zeit nimmt ab – die Zukunft verliert gegenüber der Gegenwart an Wert. Ein negativer Zins bringt das Fundament der Marktwirtschaft ziemlich durcheinander. Notenbanken haben lange das Thema Bargeldabschaffung vorangetrieben. Nun haben die Bürger einen konkreten Nutzen von Bargeld vor Augen: Es ist vor Negativzinsen geschützt. Führt das zu einer Renaissance des Bargelds? Notenbanken machen mit Negativzinsen un- gewollt selber die beste Werbung für die Be- deutung von Bargeld als Synonym für Frei- heit. Jedem Bürger dürfte nun klar sein, wel- che Bedeutung Bargeld hat. Doch gerade die Unwirksamkeit der eigenen Geldpolitik wird Notenbanken dazu verleiten, neue Angriffe auf die Bargeldhaltung vorzubereiten. Es stecken auch technologische Alternativen in den Anfängen, die ein Gegenmittel zur Zins- politik von Notenbanken sein können, etwa Kryptowährungen oder Kryptoassets. Was bedeuten Minuszinsen für Banken? Es schwächt ihre Ertragskraft massiv, da die Margen zwischen den Geldern, die sie als Einlage entgegennehmen und dann als Kre- dite weiterleiten, geschwunden sind. Bedroh- lich für Banken ist zudem das Aufblähen ver- schiedener Anlageklassen, deren Korrektur die Banken hart treffen könnte. Insbesondere der aufgeblähte Aktien-, Anleihen- und Im- mobilienmarkt sind ein Damoklesschwert. Gibt es zu Negativzinsen eigentlich aus- reichend wissenschaftliche Literatur oder eine anwendbare Denktradition? Was dazu erforscht wurde, basiert auf theore- tischen Modellen, wenig robusten empiri- schen Daten oder auf induktiven Schlüssen, bei denen von historischen Einzelbeobachtun- gen auf das Allgemeine geschlossen wird. Oft wird Japan ins Feld geführt, das seit über 20 Jahren ultratiefe Zinsen kennt. Doch auch dort sind negative nominelle Zinsen ein neues Phänomen. Auch die Schweiz wird oft als positives Beispiel herangezogen. Doch die negativen Schweizer Leitzinsen sind nicht mit jenen der Eurozone vergleichbar. Die Schweiz versucht damit der Aufwertung des Franken entgegenzuwirken. In der Eurozone ist die Zielsetzung gewissermaßen umgekehrt: In den Euroraum fließt definitiv nicht Kapital im Überfluss, da zuerst das Wachstum angekur- belt werden müsste. Die Schweiz ist somit kaum das geeignete Beispiel, um die Wirkung negativer Zinsen auf den großen Euroraum abzuleiten. Cocca: „Insbesondere der aufgeblähte Aktien-, Anleihen- und Immobilienmarkt sind ein Damoklesschwert.“ 266 www.fondsprofessionell.at | 1/2020 bank & fonds I negativzinsen

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